Buchbesprechung/Rezension:

Dinev, Dimitrè´: Engelszungen

verfasst am 21.10.2010 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Dinev, Dimitre
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[Gesamt: 7 Durchschnitt: 5]

„Engelszungen“, eine Biographie zweier junger Männer, geboren um 1967.

30.12.2001, Svetljo. Zwischen Weihnachten und Neujahr trägt so manch trauriges, einsames Individuum Gedanken des Selbstmordes mit sich herum. Auch Svetljo erfasst in dieser Zeit eine tiefe Depression, doch anstatt seinen Selbstmordgedanken nachzugeben, trägt er die Verzweiflung mit sich herum. Mit genau 300 Schilling in der Tasche irrt er durch Wien. Sorgen macht er sich nicht um die Summe des Geldes, sondern um die Zeit, in der er mit diesem Geld noch auskommen muss.  Plötzlich steht er vor einem Casino. Das ist ein Zeichen, denkt er sich. Wenn er gewinnt ist es gut, wenn er verliert ist es egal. Er betritt die Spielhalle, und verliert sein Geld. Lukas, Angestellter im Casino, schickt ihn zu Miro. Nur der könne helfen. Er ist ein Engel, der schon vielen geholfen hat, er liegt auf dem Zentralfriedhof. Verwundert darüber, dass ihm ein Toter helfen könnte, geht Svetljo trotz anfänglicher Skepsis trotzdem zum Friedhof.

Iskren. Er wacht in einem Klo in Wien auf. Die Wiener Klos beherbergen Menschen ohne Dach, ohne Familie, ohne Geld, ohne Hoffnung. Isrken macht sich mit 10.000,– Schilling auf den Weg zu Wolfi, einem professionellen Passfälscher. Isken muss unbedingt zu einem österreichischen Pass kommen. Wolfi verweigert ihm seine Arbeit, das Geld sei viel zu wenig. Von Frust und Angst begleitet, irrt er durch Wien und kommt an einem Casino vorbei. Auch er versucht hier sein Glück, er klammert sich an eine winzige Chance und setzt sein Geld ein in der Hoffnung, seine Probleme loszuwerden. Iskren verliert sein Geld und Lukas, der Pole, schickt ihn zu Miro auf den Zentralfriedhof. Nur dieser könne ihm helfen.

So suchen beide Männer, Svetljo und Iskren, verzweifelt und weil es ja sowieso schon völlig egal ist, den Ort ihrer Erlösung auf, das Grab des Engels Miro am Wiener Zentralfriedhof.

Die Lebensgeschichten der beiden Männer beginnen ineinander zu fließen. Das kommunistische Bulgarien wird gerade Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Die beiden Männer, der Pechvogel Svjetlo und der durchtriebene Iskren wachsen in diesem Land, einer kommunistischen Diktatur und ihren machtdurchtriebenen Funktionären, auf. Beide Männer treffen sich nie, doch berühren sich ihre Wege von Kindheit auf an. Beide kommen nach Wien, und begegnen sich trotz unterschiedlicher Wege am Grab des Verbrechers Miro.

Die beiden bulgarischen Männer sind, der eine ohne Papiere und der andere mit gefälschten, illegal in Wien. Beide sozialisiert im Würgegriff des Kommunistischen Regimes und ihrer Vätern, die auf unterschiedlichen Hierarchiestufen der Diktatur dienen. Trotz Wende haben wieder jene gewonnen, die schon vor Beitritt zur EU die Machthaber waren.

Am Ende dieses Romans, dieser Familiensaga, angekommen, hat man das Gefühl ein Stück jüngerer osteuropäischer Geschichte miterlebt und mehr über die Menschen und ihrer Lebenswelt erfahren zu haben, die so lange weit entfernt hinter dem Eisernen Vorhang lebten. Begreifen lässt sich die Geschichte des Landes nicht.

Der Autor Dinev floh selbst 1990 nach Österreich. 10 Jahre lang dauerte es, bis er nach einem Leben als Gelegenheitsarbeiter, durch das Schreiben (in deutscher Sprache!) in Österreich eine wirkliche Existenz gründen konnte.

(Mir fällt gerade die aktuelle grausame Integrationspolitik unseres Landes ein! Da muss ich mich wirklich „fremd schämen“!!!)




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