Buchbesprechung/Rezension:

Pynchon, Thomas : Natürliche Mängel

verfasst am 25.11.2010 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Pynchon, Thomas
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Thomas Pynchon. Eine mystifizierte Schriftstellerlegende. Nein, die lebende Schriftstellerlegende schlechthin! Jene Figur bei den Simpsons, die mit einer Papiertüte auf dem Kopf, wo ein Fragezeichen aufgemalt ist, herumläuft.

Die aktuellsten Fotos datieren vom Beginn der Sechziger des letzten Jahrhunderts und er sah fürchterlich aus – sie können es im Internet nachrecherchieren, aber ich warne sie.

Gibt es Thomas Pynchon wirklich (noch)? Neueste Sprachanalysen des „Wall Street Journals“ haben ergeben, dass Mr. Pynchon tatsächlich noch unter uns weilt – man stelle sich vor, er hat endlich wieder mal ein paar Worte gesprochen!!! Und jetzt hat er auch noch einen Kriminalroman geschrieben.

Der geheimnisvolle Meister führt uns dabei zurück ins Jahr 1970 nach Los Angeles, einer der „Flower Power“-Hochburgen am Ende des sogenannten psychedelischen Jahrzehnts. Im Küstenort Gordita Beach betreibt der dauerbekiffte Larry „Doc“ Sportello eine One Man Show-Detektei. „An dem Schild an seiner Tür stand ‚LSD Ermittlungen‘, wobei LSD, wie er auf die nicht eben häufigen Nachfragen erklärte, für ‚Lokalisierung, Sicherheitschecks, Detektei’ stand.“

Als eines Tages Sportellos Ex-Freundin Shasta Fay bei ihm auftaucht und ihn um Hilfe bittet scheint das Unglück seinen Lauf zu nehmen. Die legendäre Eingangsszene in zahlreichen Detektivgeschichten, sprich wunderschöne Frau und einsamer Detektiv, man glaubt Raymond Chandler oder Dashiell Hammet lassen grüßen.

Aber damit hat es sich auch schon wieder mit der Klassik, weil Mr. Pynchon mit einem Sprachfeuerwerk loslegt, dass die Ohren wackeln und das dazwischen etwas erhöht angebrachte Hirn (hoffe ich jedenfalls für sie!) auch gleich mit.

Shasta hat Probleme mit ihrem neuen Geliebten, dem schwerreichen Bauunternehmer Mickey Wolfmann und bittet Sportello um Hilfe. Doch der Doc schläft meistens wenn es dramatisch wird, weil halt das viele Kiffen gar so müde macht. So auch im gegenständlichen Fall, wo er neben der Leiche eines Leibwächters von Mickey im „Massagesalon“ Chick Planet erwacht und der Betontycoon selbst ist auch verschwunden. Entführung nicht ausgeschlossen, ja sogar wahrscheinlich.

Für Bigfoot Bjornsen, den Chefermittler des LAPD und einen Kifferhasser reinsten Wassers (sein Hobby ist das Sammeln von Stacheldraht, aber nur in Vierhundertmeterrollen ) ist Doc Sportello somit höchstverdächtig. Und so beginnt die mühsame Suche des Detektivs nach seiner Unschuld.

Sportello kann auch in den brenzligsten Situationen nicht die Fingern vom Joint lassen (völlig schlüssig: wann wenn nicht dann!) besitzt aber eine begnadete Spürnase, um die ihn so mancher anderer Romanheld beneiden würde.

In weiterer Folge trifft man auf die seltsamsten Personen und Organisationen, wie die arische Bruderschaft „Kalifornien erwache“ oder die mafiose Heroinschmugglertruppe „Goldener Fang“, die interessanterweise von Zahnärzten betrieben wird.

„Natürliche Mängel“ erinnert beim Lesen an einen Comic, so auch das transportierte Frauenbild, wenn von lauter „Wahnsinnsbräuten“, „Sahneschnitten“, „aufgekratzten Stewardessen“, „temperamentvollen jungen Asiatinnen“ oder von kalifornischen Blondinen mit dem „weltberühmten unaufrichtigen Lächeln“ die Rede ist.

Eine Feministin könnte im pynchonschen Universum leicht paranoid werden.

Auf eine detaillierte Schilderung der Handlung verzichte ich, da dies einerseits beinahe unmöglich ist und andererseits würden sie mir es sowieso nicht glauben. Insgesamt bevölkern knapp 100 Protagonisten den Roman, tauchen darin auf und auch wieder unter.

„Natürliche Mängel“ ist kein Krimi aus der „hard boiled“-Schule, sondern im Gegenteil wunderbar sanft und entspannt. Kaum eine Seite, wo nicht ein Joint gedreht, angezündet, geraucht oder wieder ausgedämpft wird – ein psychedelischer, total abgefahrener, monströser Trip von der ersten bis zur letzten Seite.

Horrorfilme, Splattermovies, die Kultur der Surfer und Hippies, reale oder erfundene Musikstücke und alles hinein damit in den Mixer von Thomas Pynchon.

Und nicht zu vergessen eine ordentliche Portion Verschwörungstheorie, damit es ordentlich flutscht.

„Natürliche Mängel“ ist eine hingebungsvolle Hommage von Thomas Pynchon an die Ära des Hippietums in Kalifornien, aber vor allem ist es ganz ganz großes Kino im Kopf.

Tja, nicht umsonst nennen sie ihn den Shakespeare der Popkultur.




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