Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte
Autorin/Autor: Barnes, Julian
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Die Schulzeit und drei Freunde. Bis Adrian Finn neu in ihre Klasse kommt und der Vierte in ihrer Runde wird. Dann das Ende der Schulzeit, der Wechsel, das Studium in jeweils anderen Städten, die Freundschaft besteht weiter, nur beschränkt sie sich nun hauptsächlich auf das Briefe schreiben, unterbrochen von gelegentlichen Treffen. Die Verbindung zueinander löst sich, kaum merklich mehr und mehr, jeder geht seinen eigenen Weg, findet neue Freunde – und Freundinnen.
Das, was Tony Webster aus dem Abstand vieler Jahrzehnte aus seinem Gedächtnis abruft, das ist auf den ersten Blick die Geschichte von Jugendfreundschaften, wie sie auch viele andere Menschen erlebt haben und darüber eräahlen könnten.
Doch in dieser ist etwas anders als in der überwiegenden Mehrzahl der anderen. Denn nach dem Ende seiner Studienzeit geschah das Undenkbare, setzte Adrian seinem Leben freiwillig ein Ende und die Gründe dafür blieben immer im Verborgenen. Das alles geschah in den 1960er-Jahren, viele Jahrzehnte sind seitdem vergangen und Tony Webster hat sich in seinem Lebensabschnitt eingerichtet, erlebt mit sich selbst im Reinen die Jahre seines Alters.
Die Erinnerung an all das Vergangene ist nie zur Gänze verblasst, doch so richtig präsent wird sie wieder mit einem Brief. Es ist ein Brief einer Anwaltskanzlei, Tony entsorgt ihn beinahe ungelesen mit dem Altpapier, in dem er von einer kleinen Erbschaft erfährt. Niemals hätte er an eine solche Erbschaft gedacht, nicht von diesem Menschen, den er kaum gekannt hatte und auch das war schon Jahrzehnte her.
Tonys, nein, nennen wir ihn lieber Mr. Webster, immerhin ist er schon im reiferen Alter, ist verwirrt, kann sich die Erbschaft nicht erklären. Ein Teil dieser Erbschaft ist auch Adrians Tagebuch, das sich jedoch noch im Besitz einer früheren Freundin befindet. Kurzum, eine recht verworrenen Geschichte, die dann auch noch beginnt, Schritt für Schritt andere Wahrheiten zu enthüllen als Mr. Webster sie in Erinnerung hat. Und Wahrheiten, die er nicht kannte, die aber alles erklären.
Dieses stückweise Enthüllen, das schrittweise Umdenken, wie Webster einen, wie es zuvor schien, unverrückbaren Teil seines Lebens nach dem anderen neu erkennen und bewerten muss, das macht dieses Buch aus. Ein stille, eine ruhige und gleichzeitig eine durchwegs, von Anfang bis zum Ende, fesselnde und großartige Erzählung. Und die kleinen Abschweifungen zwischendurch, die verzeiht man. Es ist manchmal eben so, wenn ältere Herren erzählen – da verlieren sie hin und wieder den Faden.
Ingesamt: Was will man mehr von einem Buch!
Und nein, das ist nicht nur meine persönliche Meinung, das meinte auch die Jury des Booker-Preises, den Julian Barnes im Jahr 2011 für „The Sense of an Ending“ – so der Originaltitel – erhielt.
Ist denn nun die Erinnerung an die eigene Vergangenheit so etwas wie eine historische Faktensammlung oder doch mehr so etwas wie eine Sage, in der vieles verklärt, manches verdrängt, einiges umgedichtet wird? Was macht unser Gehirnen eigentlich aus dem, was wirklich passiert ist, spielt es uns ein ganz anderes Stück Leben vor, als wir es führten? Und baut unsere persönliche Gegenwart immer auf abgewandelten Erinnerungen und auf Dingen auf, die sich unserer Kenntnis entuehen?
Interessante Fragen, die sich da beim Lesen dieses Buches stellen und die nachdenklich machen.