Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort
Autorin/Autor: Handke, Peter
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Ich bin ehrlich: gekauft habe ich dieses Büchlein nur deshalb, weil meine Erinnerung an das, was ich in grauer Vorzeit (!) von Handke gelesen habe, heute völlig verblasst ist. Und weil alles, was ich in den letzten Jahren über Handke gehört und gelesen habe, mehr Ver- als Bewunderung hervorgerufen hat.
Kaufe also um den leicht überhöhten Preis von rund € 18,- ein knapp 100 Seiten schmales Büchlein. So etwas nennt sich Essay und damit klingt es gleich gar nicht mehr so teuer. Lese also, erstmals seit, nun sagen wir 35 Jahren, etwas, das von Handke geschrieben wurde (Damals war es, glaube ich mich zu erinnern, der Torwart und sein Elfmeter)
Eine Erzählung über die Toiletten-Erinnerungen des Peter Handke. Weil man ja über alles schreiben kann. Und ja, denn da könnten wir sicherlich alle etwas darüber berichten, haben unsere endlos vielen Erfahrungen. Männer, wie man hört, dabei noch weitaus mehr als Frauen, die diesen Ort, im Gegensatz zu uns, meist als reinen Wirtschafts-Verrichtungsort betrachten. Wir Männer jedoch, wir können dort mit Zeitungen und Büchern schier endlos viel Zeit verbringen, manche von uns haben dort auch einen Fernseher, viele eine Steroanlage (habe auch schon einen Fernseher gesehen, der direkt vor der Klomuschel in den Boden versenkt war – auf die Hände gestützt, ein wahrhaft ultimatives Vergnügen). Nur das mit dem Handy, … nun ja, …
Was schreibt Handke darüber?
Und wie schreibt er darüber?
Eines man spürt man von Anfang an, mit jeder Zeile: Handke breitet seine Gedanken in einer wunderbar melodiösen, harmonischen, anmutigen Sprache aus. Und er zerlegt dabei viele Details in ihre Elemente und nimmt dann in den allermeisten Fällen das schönste Teilchen davon und betrachtet es genauer. Lässt die weniger gut beschreibbaren Aspekte weg.
Das kündigt sich ja bereits im Titel an: „Stiller Ort“ ist eben weit sanfter, sauberer, freundlicher, als es „Toilette“ oder gar „Klosett“ jemals sein könnten.
Die oft mehrfach ineinander verwobenen Texte erfordern dabei die volle Aufmerksamkeit, will man den Gedanken, der vielleicht auf der vorherigen Seite begonnen hat sich auszubreiten, bis zu seinem Ende mitverfolgen. Welches vielleicht erst auf der nächsten Seite, zum Abschluss eines einziges Gedanken-Satzes, kommen wird.
Denn Handke, so schön seine Sprache auch ist, ist dem (aus meiner subjektiven Sicht) Wahn eines künstlerischen Anspruches verfallen, der da heisst: je länger ein Satz, desto Kunst. Je mehr Verschachteltung, desto Kritikerlob. Kann man jetzt noch fortsetzen, wenn man will (Einschub: Lieber Herr Wolf Haas, wie sehr mag ich dagegen ihre Satzlängen!).
Handke schreibt über seine Lebensstationen (zeitlich und räumlich), die sich natürlich nicht immer und nicht immer vordergründig an einem bestimmten „Stillen Ort“ festmachen ließen. Aber sicherlich gab es überall dort, wo er war, einen, womit sich Handkes Stille Orte zu einer Chronologie der persönlichen Rückzugsorte aufreihen lassen. Stiller Ort = Ort, an dem niemand anders die Stille stört = Ort, an dem niemand bei den eigenen Gedanken stört = Ort, an dem man sicher ist (Man könnte vielleicht an schöne, anmutige Sätze denken, wenn man das nächste Mal auf einem Bahnhof oder einem Autobahnrastplatz das „Stille Örtchen“ aufsuchen muss – vielleicht hilft das ja beim Überstehen).
Und, kaum zu glauben, bei all dem Ernst, kann man einzelne Abschnitte sogar als amüsant empfinden. Man, das ist man selbst, denn Handke beschreibt zwar hin und wieder recht komisch wirkende Szenen, nimmt sie dabei meistens aber selbst sehr ernst (zu ernst?), verweigert für sich auch nur den leisesten Ansatz von Ironie oder Humor. Obwohl das keinesfalls geschadet hätte.
„Stille Orte“, und jetzt erweitert sich die Perspektive, sind dabei nicht immer nur „Stille Örtchen“ sondern oft – und im Laufe der Jahre immer öfter – auch Orte, die eben jenes Gefühl der gesicherten, abgeschlossenen Enge, das eine Höhle eben, vermitteln. Alle Stillen Orte, ohne die einschränkende Wirkung der Silbe „chen“.
Nun liest man sich, berührt von dieser Sprache, durch die wenigen Seiten und erfährt viel über die Befindlichkeiten eines Mannes in verschiedenen Lebensaltern: Peter Handke. So schön und gefühlvoll er das alles auch verpackt, so sehr stellt sich mit jeder Seite mehr heraus: vorrangig geht es um Handke. Handke schreibt über Handke, der Mann ist sich selbst genug. Ist doch auch schön.
Eine Bewertung ist mir kaum möglich, weil wir es im LiteraturBlog aber nur einmal so handhaben, dieses:
• Die Sprache: 5 Sterne
• Der Rest: ?
Und am Ende: Ein wenig von dem, was bei mir in den früheren Jahren Verwunderung über Handke hervorgerufen hat, fand ich auch in diesem Essay. Überwogen aber hat die Erkenntnis, dass das Wenige, das hier Handke serviert, bei all dem unüberlesbaren Narzismus, doch etwas Besonderes ist.
PS: ich plane demnächst die Veröffentlichung einer Erzählung mit dem Titel: „Der Semmelknödel auf meinem Teller verlangt nach Sauerkraut“. Das ist, finde ich, ein doch auch sehr wichtiges Thema; saß ich doch kürzlich stundenlang über den Teller gebeugt und dachte darüber nach. Ist vielleicht irgendein Verlag interessiert daran?