Buchbesprechung/Rezension:

Linus Reichlin: Das Leuchten in der Ferne

verfasst am 15.07.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Reichlin, Linus
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So weit weg, so fremd und fremdartig, als wäre es auf einem anderen Planeten. Afghanistan ist für mich so unbegreiflich, so vergangen und archaisch, wie fast kein anderes Land auf der Welt. Aus der sicheren Distanz betrachtet und mit dem Halbwissen aus den Medien ausgestattet (inklusive ein paar Erinnerungsfetzen an Karl May) und das war es schon mit meinen Kenntnissen. Vieles davon mag wohl stimmen, doch verstehen kann ich Land und Menschen damit noch lange nicht.

Um das zu erreichen muss man wohl dorthin reisen und in die Gesellschaft und das Leben eintauchen.

Der Zufall führt Moritz Mertens und Miriam Khalili zusammen. Er, der routinierte und einstmals gefragte Reporter in den Krisengebieten der Welt und sie, die geheimnisvolle und anziehende Mutter, deren Vater vor vielen Jahren aus Afghanistan geflohen war, sehen einander zum ersten Mal auf einem Arbeitsamt in Berlin. Aus einer Eingebung heraus findet Moritz Kontakt zu ihr. Noch am selben Tag folgen die Einladung zu einem Abendessen bei ihr und eine Geschichte, die seltsamer und gleichzeitig fesselnder nicht sein kann.

Mitten unter den brutalsten, grausamsten, gewissenlostesten Elementen die auch im Normalfall schon extrem fundamentalistischen, patriachaischen Gesellschaft hält sich eine jungen Frau versteckt, so erzählt Mirima. In einer Gruppe Taliban lebt sie, verkleidet als Mann, eine Bacha Posh; doch es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis ihre Verkleidung durchschaut wird. Und das wird ihr sicherer Tod sein, einfac weil sie eine Frau ist, die in der Welt der Männer nichts wert ist.

Moritz ist von Miriam und ihrer Geschichte fasziniert und willigt ein, seine Kontakte zu nützen um gemeinsam nach Afghanistan zu reisen. Er als Reporter, sie als Fotografin, den als solche hätte sie, wie Miriam erklärt, auch früher schon gearbeitet. Sie wollen die junge Frau treffen, eine Reportage über sie schreiben und mit dem 10.000-Dollar-Honorar dafür die Flucht in ein anderes Land ermöglichen.

Der einzige Weg ins Land hinein führt über die Versorgungsrouten der Militärs. Nur zwei Wochen nach ihrem ersten Treffen sitzen Miriam und Moritz in einem Flugzeug der Bundeswehr. Schon während des Fluges und noch stärker in den ersten Stunden ihres Aufenhalten auf einem Aussenposten in der Stadt Feyzabad, im Nordostendes Landes, beginnt Moritz zu zweifeln. Ganz gegen seine professionelle Gewohnheit hat er Miriam einfach geglaubt, hat keine eigenen Recherchen betrieben, hat sich nur durch wenige Worte von ihr überzeugen lassen.

Und nun sitzen sie in Afghanistan und die Kontakte, die Miriam angeblich hat, der Plan, den sie entwickelt, das war sie nicht verrät und worüber sie nicht spricht: Moritz‘ Misstrauen wächst. In gleichen Maße aber wächst auch seine Leidenschaft für Miriam.

Und jetzt kommt Karl May wieder ins Spiel: zu lesen gibt es in diesem Buch tatsächlich eine Abenteu(r)ergeschichte mit Liebe, Verrat, exotischen Menschen und Schauplätzen, mit einem besonderenen Gewicht auf der Darstellung der Rollenverteilung Frau-Mann in Afghanistan. Jedenfalls kann man glauben, dass die Beschreibungen zu diesem Themenkomplex der Realität entsprechen, ob es wirklich so ist, kann ich nicht beurteilen.

Aber in jedem Fall wird das bei uns aus dem Medien bekannte menschenverachtenede Frauenbild mit vielen Szenen aus dem Alltag verdeutlicht und untermauert (oft hat es mich dabei vor Zorn über diese Zustände richtiggehend geschüttelt). Wenn es darum geht, dann hat dieses Buch auch seine stärksten Momente, dann wird man richtig hineingezogen; von anderen Abschnitten kann man das leider nicht sagen.

Davon abgesehen ist es ein Abenteuerroman, der auch anderswo spielen könnte: bei Maoistischen Rebellen irgendwo in Mittelamerika, Islamistischen Terrorgruppen in Afrika, etc; kurzum überall dort, wo mit Menschenleben Geschäfte gemacht werden. Womit sich meine Erwartung an einen Roman aus dem Inneren und über das Innere des Landes Afghanistan leider nicht erfüllt hat.

Eine Geschichte wie jene, die einst durchs „Wilde Kurdistan“ führte, nur in unsere Zeit verlegt. Also weniger edle Helden, dafür mehr Kalaschnikoffs, bzw.: Moritz Mertens ist kein Kara Ben Nemsi.

Oft zu vorhersehbar, aber kurzweilig geschrieben. Gelegentlich überträgt sich die Planlosigkeit im Handeln der Charaktere auch auf mich: dann verliere ich den Faden, weil nicht alles im Buch einer logischen Abfolge von Ereignissen entspricht, manches recht unvermittelt und für die Situation unpassend geschieht.

Eine leicht verdauliche Im-Schatten-Lesen-Lektüre für heiße Sommertage. Aber eine – und das Bemühen ist erkennbar – gewollte, enthüllende Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen wird daraus nicht.




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