Milan Kundera: Der Scherz
Autorin/Autor: Kundera, Milan
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Felix Haas
Mit seinem Erstlingsroman „Der Scherz“ ist Milan Kundera 1967 ein grosser Wurf gelungen durch den sich sein Autor auf Anhieb als ein besonders vielseitig begabter Schriftsteller etablierte. Kundera zeigt in ihm sowohl seine erzählerischen Stärken, als auch seine technische Versiertheit. Schnell werden wir in einen Erzählfluss gesogen, der uns mit seinen Figuren mitleiden lässt und mit jeder Seite gierig auf die nächste macht.
Jedoch ist Kunderas Erzählen kein effekthascherisches, das lediglich darauf aus ist uns zu fesseln. Es ist im Gegenteil ein wohlüberlegtes, minutiös ausgeführtes, welches von nicht geringen technischen Fähigkeiten zeugt. Doch ist “der Scherz” nicht nur Erzählung, sondern schweift in Nebenhandlungen immer wieder auch ins essayistische ab, was sein Autor nicht minder beherrscht, als das Erzählen.
Der in 7 Kapitel unterteilte Roman wird retrospektiv im Wechsel von seinen verschiedenen Personen erzählt, und schildert Ereignisse aus der Tschechoslowakei der 50er und 60er Jahre, welche das Leben von Ludvik Jahn so wie verschiedener seiner Bekannter zeichnen. Ludvik wächst in einer Kleinstadt in Mähren auf und geht schliesslich als junger, etwas aufständiger Intellektueller zum Studium nach Prag. Dort wird ihm schnell ein unüberlegter Scherz zum Verhängnis. Verärgert und enttäuscht von der jungen Frau, auf die er ein Auge geworfen hat, schickt Ludvik ihr eine Karte, die nichts anderes enthält, als die später immer wieder zitierten Sätze: „Optimismus ist das Opium der Menschheit! Ein gesunder Geist stinkt nach Dummheit! Es lebe Trotzki! Ludvik.“ Als man diesen abfängt, wird Freund zu Feind, seine Kollegen und bisherigen Freunde stimmen gegen ihn, auch um sich selbst dadurch nach oben zu hieven. Ludvik wird nicht nur von der Universität, sondern schliesslich auch aus der Partei ausgeschlossen.
In einem Gulag-artigen Arbeitslager verbringt er die folgenden Jahre im Bergbau. Sein einziger Lichtblick ist Lucie, eine Arbeiterin, die in einem Heim für schwer erziehbare Mädchen lebt und die er während einer seiner wenigen Ausgänge kennenlernt. Trotz widriger Umstände finden sie schliesslich mit viel Aufwand zu einem Moment der Zweisamkeit, der, als sie sich ihm verweigert, jedoch jäh in Ludviks Grobheit endet.
Über ein Jahrzehnt nachdem er aus dem Lager entlassen wird, ist Ludvik ein gebrochener Mann. Er hat zwar zurück an die Universität gefunden, ist dort Mathematikprofessor geworden, doch ist er immer noch von Hass erfüllt gegen das was ihm widerfahren ist. Er beschliesst schliesslich sich an Zemanek zu rächen, einem der Studienkollegen, welche für seinen Ausschluss aus Partei und Universität gestimmt haben. Er trifft sich mit dessen Frau Helena, ebenfalls eine alte Studienkollegin, und beschliesst sie zu verführen. Befeuert von Wodka und seinem Hass auf ihren Ehemann, endet ihre Zusammenkunft in einer Orgie aus Sex und Gewalt, welche jedoch Helena nicht abstösst, sondern sogar noch stärker für Ludvik einnimmt. Befreit gesteht sie ihm ihre Liebe und versucht ihn zu beruhigen in dem sie ihm erklärt, dass sie von ihrem Ehemann getrennt lebe und dieser bereits eine Andere habe. Ludvik muss erkennen, dass seine vermeintliche Rache an Zemanek fehlgeleitet und ohne Bedeutung für diesen war. Erzürnt und verzweifelt erklärt er Helena, dass er sie nicht liebe und sie sich nicht wieder sehen würden.
Gebrochen konstatiert Ludvik am Ende des Romans, dass sowohl die Geschichte seines Lebens als auch die seiner Freunde “Geschichten einer Verwüstung” seien. So ist Kunderas Geschichte eine Geschichte von Besiegten, ohne Sieger. Sie läuft in eine Leere, in der ihre Figuren dem Alter nach beinahe noch jung sind, ihnen jedoch bescheinigt wird, bereits das Ende ihres Schicksals erreicht zu haben.
Kundera bettet seinen Roman in eine neutrale, von Zeiten etwas intellektuelle Sprache, die den verschiedenen Erzählern den nötigen Platz gibt, ihre Stimme zu finden. Gemeinsam tragen sie eine Epoche ihres Landes zu Grabe, an deren Anfang die Hoffnung stand. Durch aus heutigem Standpunkt gesehene Lappalien, werden die Schicksale junger Menschen aus der Bahn geworfen und besiegelt. Menschen die nach dem Krieg voller Zuversicht ihr Land nach den Lehren des Kommunismus umzubauen halfen, werden Opfer ihrer eigenen Begeisterung. Eine allgegenwärtige Partei verurteilt sie zu Schicksalen, die sie schliesslich als leere “erledigte” Hüllen zurücklässt.
“Der Scherz” endet in einer aussichtslosen Tristesse, welche eine Traurigkeit und Hilflosigkeit kolportiert die schon im Jahr nach seines Erscheinens in die Ereignisse des Prager Frühlings münden sollten, jenem Aufschrei und Aufbäumen welches genauso grausam und abrupt erstickt werden sollte, wie Kunderas Figuren grausam und langsam verstummen.
Milan Kunderas “Der Scherz” ist ebenso erzählerisch fesselnd, wie intellektuell bestechend und politisch wichtig; ein beachtlicher Erstlingsroman.