Buchbesprechung/Rezension:

Mai Jia : Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong

verfasst am 31.08.2015 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Jia, Mai
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Der Roman über ein Genie, das seine Grenzen immer weiter hinaus schieben muss, um sich selbst zu genügen. Eingebettet in eine Geschichte über die Entwicklung eines Landes, das täglich in allen Medien präsent ist, über dessen Innenleben wir aber unglaublich wenig wissen: China.

Die Familie Rong trägt einen in Ihrer Stadt, in ihrer Region seit vielen Generationen geachteten Namen. Einst als Salzhändler zu Wohlstand gekommen, in den folgenden Generationen durch Geist und Intelligenz (aber auch durch Verbrechen und Laster) stets in einer maßgeblichen Rolle tätig, die in der Gründung einer Hochschule gipfelte: die Rongs überdauerten die Kaiserzeit, später die Ära Chiang Kai-shek und die Zeit der japanischen Fremdherrschaft, die wiederkehrenden Kriegswirren des 20. Jahrhunderts und auch nach der Machtergreifung durch Mao bleiben die Rongs ein bestimmender Faktor.

Unter den jüngsten Nachkommen ist Jinzhen. Seine bei seiner Geburt verstorbene Mutter tauchte einst bei den Rongs auf. Sie stand eines Tages einfach vor dem Tor, behauptete, sie würde das Kind eines Rongs in sich tragen. Man konnte den Vater nicht befragen, denn der, ein Außenseiter der Familie Rong, ein Verbrecher durch und durch, war bereits selbst einem Verbrechen zum Opfer gefallen.  Und doch: die Frau fand Aufnahme bei den Rongs und auch ihr Kind durfte nach dem Tod der Mutter bei der Familie leben und heran wachsen.

Jinzhen nun zeigt schon bald sein mathematisches Genie und damit seine Zugehörigkeit zu den Rongs. Ohne jemals die Materie von der Basis aus studiert zu haben, findet er Lösungen und Ergebnisse schneller als jeder andere. Ein Talent, das schließlich dem Staat und damit der kommunistischen Partei nicht verborgen bleibt. Die Zeiten lassen es nicht zu, dass ein Genie wie Jinzhen um der Wissenschaft oder der Zukunft willen weiter forschen darf. Der Staat ruft ihn in seinen Dienst um seinen überragenden Intellekt hier und jetzt gegen die Feinde des Staates einzusetzen.

(Unklar ist mir, aus welchem Grund z.B. die Städte keinen Namen tragen, sondern nur mit Buchstaben bezeichnet werden. Die USA als der bestimmende Feind werden oft nur als „X“ bezeichnet, als Land der Wissenschaft aber als „USA“. Ist es so das Vorhaben des Autors gewesen oder ist es vorauseilende Einplanung möglicher Zensur? Hier greift auch wieder mein Nicht-Wissen über die Strukturen des Landes: einiges kann ich nicht zuordnen, so manches könnte sowohl eine Verbeugung gegenüber der kommunistischen Partei als auch gewollter Teil der Dramaturgie sein.)

Für mein Fazit nahm ich die „gewollte Dramaturgie“ an.

Der Roman enthält gleich eine ganze Reihe von Ebenen: das Leben des Jinzhen im Zentrum, detailreich und bildhaft beschrieben, Die Familienchronik der Rongs, deren Stammbaum man mit allen Höhen und Tiefen man interessiert liest. Die Verhältnisse in China, vor und nach der Machtübernahme durch Mao; so sehr ich dabei immer an Zensur denken muss, so sehr ist aber dieser Aspekt der Geschichte erhellend und erklärend. Denn gleich ob Zensur oder nicht, man erfährt ungemein viel über die Lebensumstände im Land. Und schlußendlich ist da noch der Spionageroman im Roman, der – im Kalten Krieg angesiedelt – weniger ein Spannungselement ist, als den erklärenden Rahmen um alles andere bildet; den Hintergrund für Jinzhens Lebensweg.

Während zu Beginn, noch ist man sich als Leser/in gänzlich im Unklaren, wohin die Geschichte sich entwickeln wird, diese Vermengung von historischen Querverbindungen und der Chronik der Rongs immer mehr Spannung entwickelt, ändert sich das im letzten Drittel. Ab dem Moment, ab dem offensichtlich wird, wie Jinzhens weiteres Lebens verlaufen wird, lässt die Spannung merkbar nach. Der Roman klingt in einer nicht ganz den zu Beginn aufgebauten Erwartungen entsprechenden Art und Weise aus; ja, er klingt eher aus, als dass er einen Schluß, ein Finale hätte. 

Der Teil des Romanes, der über das verborgende Spiel der Geheimdienste berichtet, erfordert Umdenken: keine Spionagethriller in der Art von Forsythe oder Follett sondern viel mehr die Schilderung der stillen Auseinandersetzung zwischen den Gehirnen von Wissenschaftlern, die wie zufällig auf entgegengesetzten Seiten einer unsichtbaren Frontlinie gelandet sind. Etwas ungewohnt, im Ansatz sehr fesselnd, hätte ich mir dabei aber etwas mehr Spannung gewünscht.

Als Roman, der mir sehr viel über China und das Leben in China vermittelt, finde „Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong“ jedoch ungemein beeindruckend und bemerkenswert.




Ein Kommentar

  • anny sagt:

    Am 21. März 2016 organisiert das Konfuzius-Institut an der Universität Wien gemeinsam mit der Buchhandlung Leporello die Lesung über das Buch Das verhängnisvolle Talent des Herrn Rong mit dem Autor Mai Jia und die Übersetzerin Frau Karin Betz. Wenn Sie Interesse an der Lesung haben, laden wir Sie herzlich ein zu der Veranstaltung.

    Mit freundlichen Grüßen,

    anny

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