Buchbesprechung/Rezension:

Sofia Andruchowytsch: Der Papierjunge

verfasst am 13.04.2016 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Andruchowytsch, Sofia
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Was ist es, das dieses Buch so liebes- und lesenswert macht. Die Autorin versteht es, Illusionen zu erzeugen, sich in eine Welt zu versetzen, die vergangen ist. Mit historischen Abrissen lernt man das Leben von seinerzeit kennen. Sprachlich schöpft die Übersetzerin dieses Buches  die Möglichkeiten der deutschen  Sprache gekonnt aus. Die Autorin hat wohl mit sehr großem Einfühlungsvermögen die Geschichte erzählt. Das  überträgt sich auch auf die Übersetzung.

Um 1900, in der galizischen Kleinstadt Stanislau,  leben  Adelja und Stefa. Die Monarchie ist noch die beherrschende Macht.  Die beiden Mädchen sind nahezu unzertrennlichen Freundinnen – miteinander verflochten wie die Stämme zweier Bäume – heißt es in dem Buch. Adelja ist die Besitzergreifende, die Vereinnahmende. Sie heiratet den begnadeten Steinmetz Petro, der mit seiner Arbeit zu Wohlstand gekommen ist. Ab diesem Zeitpunkt führen Adelja, Stefa und Petro ein Leben zu Dritt, wobei Stefa die Privilegien, die Adelja zuteil werden, nicht teilen darf, sie ist ja nur eine Bedienstete. Adelja  tyrannisiert  Stefa nach Lust und Laune. Sie erträgt es mit einem unterschwelligem „geduldigen“ Groll. Die Unzertrennlichkeit der Freundschaft ist wohl großteils auf der Treue von Stefa gebaut.

Eines Tages findet  Petro einen kleinen, schlafenden Jungen in seiner Werkstatt,  neben einem Steinengel liegend. Ein Häufchen Kind, gelenkig, schmächtig und beweglich wie ein Schlangenmensch. Adelja will dieses Wesen gleich wieder loswerden, Stefa empfindet eine fürsorgliche Liebe zu dem kleinen, wendigen Buben.

Sie nennen ihn Felix, der aus der Show des Magiers Thorn weggelaufen ist. Er konnte in einem Zylinder verschwinden, keine Ritze war ihm zu schmal. Jedoch berühren durfte ihn niemand. Nur zu den Engeln in Petros Werkstatt suchte er Nähe.

Der Roman enthält eine Fülle von Illusionen,  fast wie in einem Märchen wird man in Situationen, in eine Zeit versetzt, die  irgendwie entrückt  sind. Obwohl auch viel Realistisches den Weg zum Ende des Buches begleitet. Die geschichtliche Lage zur Wende zum 20igsten Jahrhundert, die Lebensbedingungen von damals. Kaiser Franz Josef herrschte über das Land.

Trotz all der Unbillen, denen Stefa ausgesetzt war, durch die Herrschsüchtigkeit von Adelja, Trost fand sie in der unerfüllten Liebe zu dem Pfarrer, der ihr schon vor Jahren begegnet war, als sie im Haus des Vaters von Adelja  als Dienstmädchen tätig war. Trost spendete ihr aber auch der kleine Felix, der sich langsam unter dem Einfluss von Petro und Adelja zu einem pummeligen Knaben entwickelt.

Die Autorin schildert mit sehr viel Einfühlungsvermögen die Protagonisten, mit Liebe zum Detail führt sie durch das Buch. Sie versteht es wunderbar das tägliche Leben, mit dem  Verhalten der einzelnen Personen zu verflechten.

Dieser Roman hat mich sehr vereinnahmt, er  hat meine Gefühle berührt, auch wenn die eine oder andere Passage mir etwas verwirrend erschien. Ein schönes Buch, sie sollten es lesen.




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