Javier Cercas: Blaubarts Burg
Terra Alta 3
Autorin/Autor: Cercas, Javier
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Wenige Wochen zuvor hatte Melchor Marins Tochter Cosette erfahren, wie ihre Mutter tatsächlich ums Leben kam und wer daran Schuld hatte. Ein Schock, den die Siebzehnjährige erst verdauen musste und Melchor ist sich überhaupt nicht sicher, ob sie ihn überhaupt verdaut hat. Es ist ein tiefer Einschnitt im Verhältnis von Vater und Tochter.
Es beunruhigt ihn dann zwar, überrascht ihn aber auch nicht, als Cosette von einem gemeinsamen Urlaub mit ihrer Freundin Elisa auf Mallorca nicht zurückkehrt. Sie wolle noch über alles nachdenken und nein, mit ihrem Vater wolle sie erst einmal nicht reden.
Als Cosette dann nicht mehr erreichbar ist, sich auch nicht mehr bei ihrer Freundin meldet, zögert Melchor keinen Augenblick und wendet sich an die Polizei. Eine Vermisstenanzeige, Informationen über das, was Elisa und Cosette auf Mallorca unternahmen, Einschaltung der Polizei vor Ort – innerhalb weniger Absätze beschleunigt die Handlung gewissermaßen aus dem Stand auf 100. Es lässt sich kaum verhindern, dass man jetzt selbst dem entgegenfiebert, was kommen wird.
Und genau ab jetzt kann ich es nicht erwarten zu lesen, wie es weitergeht.
Melchor fliegt nach Mallorca, er kann nicht abwarten, was die Polizei erreicht, er muss selbst vor Ort sein und seine Tochter suchen. Was er dann zunächst antrifft, das ist ein abweisender Polizeichef vor Ort, der sich weigert, schnell oder überhaupt zu handeln, als ob er wüsste, was geschehen ist und es vertuschen will. Wenigstens aber kann Melchor sich auf seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in Terra Alta verlassen, die ihn aus der Ferne unterstützen. Ein anonymer Hinweis und das Treffen mit einem ehemaligen Mitglied der Guardia Civil auf Mallorca bringen eine erste Klarheit darüber, was passiert ist – was mit Cosette passiert ist und vor ihr auch vielen anderen jungen Frauen.
Eine Eigenart von Javier Cercas ist, dass er in seinen Romanen immer wieder sich selbst ins Spiel bringt, nämlich als ein Autor, der Bücher über den früheren Polizisten Melchor Marin schreibt. (Jetzt könnte man auch noch spekulieren, ob man ein Buch über das neueste Buch liest, oder das Buch selbst liest …). So kann er auch aus den ersten beiden Romanen der Reihe zitieren, ohne dass es aufgesetzt wird und auch immer wieder etwas über die politische Lage in Katalonien in der Handlung unterbringen. Ein wirklich gut gelungener Twist.
Das ist aber nur ein kleiner „Nebenschauplatz“ des Romanes, der ganze Rest ist gelinde gesagt aufwühlend.
Ein anderer, bestimmender Aspekt, der Cercas‘ Bücher auszeichnet, das ist der Bezug zur realen Welt, zu unserer Gegenwart. Denn er beschreibt Vorgänge, wie wir sie auch aus den Nachrichten kennen, die in den letzten Jahren um die Welt gingen. Nachrichten, die erst möglich waren, weil sich ein paar Mutige aus der Anonymität wagten, Nachrichten über die Verbrechen von Menschen, die meinen, über allem zu stehen und sich alles nehmen zu können, wonach es ihnen gelüstet.
Das alles ist derart dicht, realistisch und dramatisch beschrieben, dass es einem beim Lesen förmlich den Atem raubt (und nein, das meine ich nicht bildlich, sondern wirklich). Worum es dabei geht, darauf weist schon der Titel der deutschsprachigen Übersetzung hin: Wer das Märchen vom Blaubart kennt, bekommt eine ungefähre Vorstellung davon, worum sich in diesem Krimi/Thriller im weiteren Sinn alles dreht.
Zur Dramatik tragen sowohl der knappe Stil bei, als auch dass der Roman in der Gegenwartsform geschrieben ist – was das Gefühl aufkommen lässt, dass man quasi alles direkt und im Moment miterlebt. Mitgerissen von der Spannung und der Action der Ereignisse.
Dieser dritte Teil der Terra Alta-Trilogie toppt noch einmal die beiden ersten, schon großartigen Bücher der Reihe; ganz eindeutig einer der besten Thriller, die ich in diesem Jahr gelesenen habe. Wenn es denn nun mit diesem Handlungsrahmen zu Ende gehen muss, dann bleibt aber zumindest der Autor Javier Cercas als Lese-Fixpunkt für kommende Jahre und Romane.