Buchbesprechung/Rezension:

John Grisham, Jim McCloskey: Unschuldig
True Crime Storys

Unschuldig
verfasst am 25.11.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Grisham, John
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

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Es macht einen enormen Unterschied: wenn man weiß, dass es um reale Menschen geht, dass Unschuldige entgegen aller Beweise verurteilt wurden, dann fühlt sich schon das Lesen völlig anders an als bei einem fiktiven Krimi.

In diesem Buch dokumentieren John Grisham und Jim McCloskey, dem Gründer von Centurion Ministries, einige aus der schier unendlichen Liste der Fehlurteile noch hervorstechenden Fälle. Immer geht es darum, dass – vorsätzlich oder aus Dummheit – Polizei und Staatsanwaltschaft die Falschen beschuldigten und hinter Gitter brachten.

Worüber man, über diese zehn Fälle hinweg, auch etwas erfährt, das ist das US-amerikanische Justizsystem, das sich in grundlegender Weise von dem unsrigen unterscheidet. Während man in Krimis oft liest/sieht, dass nach dem ausgesprochenen Wunsch eines Verdächtigen nach einem Anwalt sofort jedes Verhör eingestellt wird, zeigen die beiden Autoren, dass es in der Realität oft gänzlich anders aussieht. Es darf seitens der Exekutive gelogen werden, stundenlang werden Menschen festgehalten und unter Druck gesetzt, bis sie alles gestehen, was man ihnen vorhält. Das ist umso erschreckender und bedrohlicher, als es in den USA in vielen Bundesstaaten die Todesstrafe gibt – die minuziöse Beschreibung der Fälle erklärt auch, warum immer wieder eindeutig Unschuldige hingerichtet werden.

So unterschiedlich die Fälle sind, haben sie doch etwas gemeinsam:

Aufseiten der Strafverfolgungsbehörden ist es eine Mischung aus Inkompetenz, Geltungssucht und Korruption. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichtsmedizin arbeiten dann nicht an der Aufklärung einer Straftat, sondern nur an der Bestätigung der eigenen Voreingenommenheit oder an der Durchsetzung eigener Interessen. Es bleibt in solch einer Konstellation kein Platz dafür, Fehler einzugestehen, das Schicksal der Angeklagten ist nebensächlich.

Dazu kommt, dass Sheriffs, Staatsanwälte und Richter gewählt werden und deshalb mit jedem Prozess quasi Wahlwerbung für sich selbst machen. Für die Wahrheit ist dann oft kein Platz, wenn man auf Stimmenfang ist.

Man liest über Fälle, in denen willkürlich Menschen verhaftet wurden, in denen Zeugenaussagen so manipuliert wurden, dass sie zu den Spekulationen der Polizei passten. Fälle, in denen von der Staatsanwaltschaft entlastende Beweise unterschlagen wurden und die Verteidigung, entgegen der Gesetzeslage, nicht über alles informiert wurde. Fälle, in denen zudem noch Gerichtmediziner ihre Berichte so fälschten, dass sie genau das Ergebnis brachten, das die Anklage verlangte und die damit auch noch immense Summen verdienten. Zeugen Fälle, in denen Richter aus politischen Gründen oder aus reinem Rassismus stetes zuungunsten Angeklagter entschieden. Fälle, in denen Angeklagte jahrzehntelang unschuldig im Gefängnis saßen, weil Polizei und Staatsanwälte einfach nicht eingestehen wollte, dass sie sich geirrt hatten. Damit nicht genug, blockieren die Gerichte oft auch noch die Berufungen und können so die Revision von offensichtlichen Fehlurteilen jahrelang hinauszögern. Jahre, in denen die Unschuldigen weiterhin hinter Gittern verbringen müssen.

Unter Aktivisten und Anwälten, die sich für die Aufklärung von Justizirrtümern einsetzen, heißt es oft, es sei viel einfacher, einen Unschuldigen zu verurteilen, als ihn aus dem Gefängnis zu holen.
S. 206

Das alles nachzulesen ist erschreckend!

„Unschuldig“ ist ein Buch, das die Schwächen des US-Justizsystems minuziös auflistet und beschreibt, wie einfach darin Recht und Gerechtigkeit manipuliert werden können. Beschuldigte können allzu leicht zu fälschlich Angeklagten werden, wenn sie an die Falschen bei Polizei und Staatsanwaltschaft geraten. Wer dann nicht das Glück hat, mit viel Geld die besten Verteidiger engagieren zu können oder Pflichtverteidiger zugewiesen bekommt, die sich leidenschaftlich für ihre Klienten engagieren, hat schlechte Karten. Denn, auch das lässt sich nach der Lektüre der zehn Fälle erkennen, denn auch Geschworenensystem in den USA ist zu alledem noch enorm anfällig für die Beeinflussung durch Anwälte.

Ich gehe davon aus, dass die Menschen in den USA sehr wohl wissen, wie es in ihrem Justizsystem zugeht und wie oft das Recht gebeugt wird. Wie auch im Anhang im Buch nachzulesen ist, gelangten Berichte über diesen zehn Fälle (und damit sicher auch über viele weitere) durch Pressemeldungen an die Öffentlichkeit. Selbst hier in erfahren wir immer wieder von Fällen, in denen Menschen trotz fundierter Zweifel hingerichtet werden. Dazu kommt, dass die am Ende für Begnadigungen zuständigen Gouverneure (hier vor allem die der Republikanischen Partei) das Durchsetzen von Todesurteilen als Zeichen von Stärke betrachten, um damit Wählerstimmen zu fangen.

Wie es unter diesen Umständen in einem Staat, der sich für zivilisiert und demokratisch hält, so etwas wie die Todesstrafe überhaupt noch geben kann, ist völlig unverständlich. Andererseits werden dort Sturmgewehre stolz herumgetragen und solche Leute wie Donald Trump oder Ron DeSantis gewählt.

Die beiden Autoren zeigen mit diesem Buch nicht nur die absichtlichen oder unbewussten Fehler in allen Stufen der Exekutive auf, sondern geben auch noch ein politisches Statement ab: weg mit der Todesstrafe, weg mit der Manipulierbarkeit von Verfahren, hin zu einem rein auf Professionalität aufgebauten Justizsystem.

Ob sich etwas ändern wird? Wenn man die Abläufe in der Gesetzgebung in den USA verfolgt, dann weiß man, dass es dabei inzwischen kaum mehr um sinnvollen Handeln, sondern meistens nur um das Blockieren der politischen Gegner geht. Grundlegende Veränderungen sind damit unwahrscheinlich, es werden weiterhin Unschuldige jahrzehntelang eingesperrt oder hingerichtet werden.




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