Cay Rademacher: Nacht der Ruinen
Autorin/Autor: Rademacher, Cay
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Cay Rademacher hat bereits vor etwas mehr als zehn Jahren eine großartige 3-teilige Krimireihe veröffentlicht, in der eine von Bomben zerstörte Stadt der Schauplatz der Handlung war. Damals war es Hamburg, jetzt ist es Köln.
Die letzten Wochen des 2. Weltkrieges
Alles trägt sich im März 1945 zu. Der Krieg ist noch im Gange, Hitler sitzt noch in einem seiner Bunker und fantasiert vom Endsieg. Obwohl die Folgen der Naziherrschaft unübersehbar sind, obwohl allen klar sein muss, dass die Nazis für die Zerstörung und das Sterben die alleinige Schuld tragen, gibt es noch immer viel zu viele Deutsche, die in dieser Ideologie verfangen sind, die ihrem Führer noch immer blind folgen.
Köln ist in diesem März 1945 eine zweigeteilte Stadt. Am linken Rheinufer stehen die Amerikaner und bauen eine Zivilverwaltung auf, am rechten Rheinufer stehen die Deutschen und führen den sinnlosen Kampf weiter.
Beiden Teilen der Stadt ist gemeinsam die unglaubliche Zerstörung, die Fliegerbomben und Artilleriegranaten anrichteten. Die Luftaufnahmen der ausgehöhlten Stadt lassen es einen kaum glauben, dass dort noch jemand lebt.
US-Lieutenant Joe Salmon wird nach Köln abkommandiert, um dort einen Mörder zu suchen. Als er mit seinen Eltern nach den Pogromen in der „Reichskristallnacht“ im November 1938 Köln gerade noch verlassen konnte, hieß er Joseph Salomon, ein Junge, der gerade erwachsen wurde. Nun kehrt er in seine Heimatstadt zurück, die nichts mehr mit der Stadt aus seiner Erinnerung zu tun hat.
Sein Auftrag: den Mörder eines abgeschossenen US-Bomberpiloten zu finden. Lieutenant Richard Rohrer rettete sich mit dem Fallschirm aus seinem angeschossen Bomber, landete inmitten einer zerstörten Kirche in Köln und wurde von einem Unbekannten erschossen.
Doch wie soll er seine Suche beginnen, in diesem Trümmerfeld, in dem man kaum erkennen kann, auf welcher Straße man sich befindet, nur wenige Menschen bewegen sich zwischen den Trümmern, die meisten auf der Suche nach Essen oder Dingen, mit denen sie auf dem Schwarzmarkt handeln können.
Bei seiner Ermittlung kreuzen sich Josephs Wege mit einigen historischen Persönlichkeiten, die zu dieser Zeit tatsächlich in Köln waren. George Orwell, der erst später berühmt werden sollte, Konrad Adenauer, den die US-Army schon als Berater beschäftigt, Karl Winkler, der erste Polizeipräsident Köln nach der Vertreibung der Nazis, die Schriftstellerin Irmgard Keun. Noch viele mehr listet Cay Rademacher im Anhang des Buches auf. Zusammen mit den historischen Orten (und Zerstörungen) fügt sich der Roman so nahtlos in das reale Geschehen der damaligen Zeit ein.
Der Krieg und die Menschen
Während mich die engere Krimihandlung nicht ganz so sehr beeindruckt, lese ich alles das, was Rademacher über die apokalyptische Szenerie schreibt, mit zunehmender Bestürzung.
Was Rademacher schreibt, fügt sich mit den Bildern auf den alten Fotografien zusammen, man erkennt quasi die nicht sichtbaren Details daraus. Irgendwo dort unten leben noch Menschen, irgendwo dort unten trifft Joseph in einsturzgefährdeten Kellern, behelfsmäßigen Verschlägen oder in Häusern, die wundersamerweise völlig unbeschädigt blieben, auf die wenigen, die in der Stadt blieben.
Manche von ihnen kamen erst aus ihren Verstecken, als die Amerikaner die Stadt besetzten, zuvor verbargen sie sich jahrelang vor der Gestapo und den allgegenwärtigen Denunzianten. Dann gibt es die überzeugten Nazis, die in ihrem Köpfen noch immer im „tausendjährigen Reich“ leben. Dann die, die irgendwie versuchten, einfach nur zu überleben und dafür alle Konventionen und alle Rücksicht hinter sich ließen. Aber welche Maßstäbe kann man überhaupt in solch einer Zeit anlegen?
Und während Joe das alles sieht und man das alles liest, feuert manchmal ein Panzer eine Granate ab oder rattert ein Maschinengewehr, denn auf der anderen Seite des Rheins stehen noch immer die Reste der deutschen Armeen.
Es ist völlig unmöglich zu bestehen, wie sich das Leben damals angefühlt hat, kaum jemand ist noch am Leben, um aus erste Hand davon zu berichten. Aber mit Büchern wie diesem begreift man zumindest die reine Tatsachenebene – und sieht im nächsten Moment Bilder aus der Ukraine oder aus dem Gaza-Streifen oder aus Syrien.
„Nacht der Ruinen“ ist ein historischer (Kriminal-)Roman, der sehr überzeugend beschreibt, dass ein Krieg noch lange nicht zu Ende ist, wenn die Waffen endlich schweigen. Bevor es Frieden gibt, müssen die Ruinen wieder aufgebaut und die Menschlichkeit wieder hergestellt werden.