Albert Camus: Der Fall
Autorin/Autor: Camus, Albert
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Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Früher war er ein erfolgreicher Anwalt in Paris. Über jeden Selbstzweifel erhaben, sah er sich am Gipfel seines Schaffens. Er war für sich selbst das Vorbild des Guten, des Hilfsbereiten, des Menschen, der – so schien es – sein Dasein der Hilfe und der Hilfe für die Hilfebedürftigen widmete.
Nun ja, in einigen Aspekten war er zwar schon ein wenig dem Alltäglichen entrückt, doch das konnte sein Bild von ihm nicht trüben. Ja selbst seine Klienten, und seien es auch Mörder gewesen, passten in dieses Bild, denn sie hätten aus anderen, nobleren, Motiven gemordet als die gemeinen Verbrecher.
Nun, da er einem gänzlich Unbekannten in einer Bar in Amsterdam zuerst über dessen mangelnde Kenntnisse des Holländischen hinweg hilft und ihm in weiterer Folge die Geschichte seines Lebens erzählt, nun ist von seinem Damals nur mehr die Hülle geblieben. Die Umgangsformen, die Sprache sind geblieben, das Selbstbild ist zerstört.
Jean-Baptiste Clamence, der Anwalt, der Erzähler, der Bußrichter führt einen Monolog, in dem er nur ab und zu mit ein paar kurzen Anworten auf die Reaktionen seines Gegenübers (der Unbekannte aus der Bar oder die Leserin/der Leser?) eingeht. Es muß ein Monolog sein, denn aus seiner, Clamence, Sicht duldet es zu diesem Zeitpuntk keinen Aufschub mehr, über das, was ihn aus seiner Welt des Höhenfluges herab riss, zu berichten.
Damals war er sich seiner selbst so sicher, wie es nur möglich ist sicher zu sein: selbstbewusst für ihn, überheblich für die anderen. Hilfsbereit für ihn, gönnerhaft für die anderen. Es ließe sich wohl eine lange Liste der unterschiedlichen und subjektiven Wahrnehmungen erstellen.
Er, der so viel auf seine Hilfsbereitschaft gab, verweigerte diese in einem entscheidenden Moment, als er einer Frau an der Seine nicht zu Hilfe kam. Es folgen weitere Ereignisse, die ihn zutiefst trafen und ihn zu einer bestürzenden Erkenntnis brachten: er selbst ist nicht hilfsbereit sondern selbsüchtig, nicht weltoffen sondern scheinheilig, nicht bescheiden sondern Beifall heischend, ein Narziss, der sein ganzes bisheriges Leben auf der Suche nach Dingen vergeudete, die am Ende nichts wert sind, nichts von ihm als Menschen hinterlassen.
Ein Buch, dess Inhalt und Stil man wohl vor dem Hintergrund des Jahres 1956 sehen muss. Für mich ist es definitiv kein Buch, das heute so geschrieben, geschweige denn als neu geschriebenes Buch gelesen werden würde. Damals, 11 Jahre nach Ende des Weltkrieges und einer Zeit, in der rasend schnell Menschen hoch stiegen und tief fielen, war das behandelte Thema weit gegenwärtiger (heute halten uns andere Verirrungen davon ab, zu uns selbst zu finden, also nicht zu früh gejubelt). Nun bin ich aber einmal im 21. Jahrhundert zu Hause und nicht im Jahr 1956 und kann deshalb auch nur mit 3 von 5 Sternen bewerten.
PS: Nicht einfach zu lesen, mehrmals war ich knapp daran, aufzugeben. Die langatmige Sprache des Jean-Baptiste Clamence muss aber so sein, soll wirklich als er selbst erzählen.
PPS: „Der Fall“ ist die letzte Erzählung, die Albert Camus vor seinem Unfalltod im Jänner 1960 vollendete.
Ich bewundere Camus. Sein Mythos von Sysiphos ist hervorragend. „Der Fall“ indessen hat mich arg gelangweilt. Das stört mich nicht, ich verstehe, daß Camus auch schwache Bücher geschrieben hat, weil er halt aufs Ganze ging.
Danke für die Erdbeere! Und eine goldene noch dazu! In diesen von Defiziten und Ratingagenturen bestimmten Zeiten kann man ja nie genug Goldenes daheim herumliegen haben, das ist allemal besser als so ein dahergelaufener EURO.
Ein kleines Widerwort darf ich mir aber doch erlauben,
denn 1. hat Camus den Nobelpreis nicht für ein bestimmtes Werk sondern „für seine bedeutungsvolle Verfasserschaft, die mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchtet“ erhalten;
und 2. darf auch ein Werk eines Nobelpreisträgers gemischte Reaktionen hervorrufen dürfen, bzw. ist die Verleihung des Preises noch lange kein Grund, diesem Werk kritiklos zu begegnen. Denk ich mir halt so.
Camus hat für dieses Buch den Nobelpreis bekommen. Dieser Blogeintrag verdient höchstens eine goldene Erdbeere.