Robert Schindel: Dunkelstein
Autorin/Autor: Schindel, Robert
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Eine Realsatire. Ein Lesedrama. Ein Theaterstück. Eine Episode aus der Vergangenheit. Aus welcher Vergangenheit? Aus unserer? Kann eine, wenn auch erdachte, Wahrheit aus der Vergangenheit derart abstoßend und zynisch sein? Sie kann! Ein Buch über eine dunkle Zeit, wie es nur ein Robert Schindel und vielleicht noch ein paar andere Auserwählte schreiben dürfen.
So surreal, so abwegig kann es doch nicht gewesen sein. So fremd, so aus einer anderen Welt, die doch nur ein paar Jahrzehnte entfernt ist. Der Vorhang hebt sich und es erscheint Österreich – die Ostmark. Unwirklich und fremdartig, als wäre es ein anderer Planet.
Aber wir stellen fest: es ist unsere Erde, das erkennen wir an den Menschen, die auftreten. So wie sie sprechen, das was sie sagen, das ist so vertraut. Jedoch die Bühne, auf der sie auftreten, die ist fremd, düster, voller unglaublicher Tatsachen. Gäbe es nicht Hunderttausende, die es selbst so, oder in ähnlicher Art miterlebt hätten, dann würde man es nicht glauben wollen.
Die Ostmark, Österreich in der Nazizeit, in einer Zeit, in der all der zuvor unterdrückte Neid, die Missgunst, der Hass hervorbrachen, endlich hervorbrechen durften, denn nun war man ja ein Volk. Und wer nicht Teil dieses eines Volkes war, der hatte zu gehen – freiwillig oder unter Zwang, es war egal, hauptsache fort, weg aus den Augen.
Doch es will organisiert sein. Die Fremden (die Juden) – hatten sie nicht Jahrhunderte hier gelebt, waren sie nicht in allen Gesellschaftsschichten, in allen Wirtschaftbereichen ein Teil von uns? Das muss heraus operiert werden, sorgsam, damit der Volkskörper nicht beschädigt werde.
Dunkelstein ist Rabbiner und ein Mensch im Zwiespalt: von der Gestapo beauftragt, Wien zur „Judenauswanderungsmusterstadt“ zu machen. Für ihn bedeutet das, so viele zu retten, wie möglich. Doch nicht jede/r kann gerettet werden, wer soll also bleiben und unweigerlich in der Vernichtungsmaschinerie der Nazi landen? Die ihm zugedachte Rolle kann nur in ewiger Schuld enden, denn wie er auch entscheiden mag, er wird für alle Zeiten sowohl der Weisse Ritter als auch der Handlanger des Bösen sein. Und für Dunkelstein verschwimmt bald auch die Grenze zwischen erzwungenem Handeln und eigenem Antrieb, er wird mehr und mehr zum Instrument der Machthaber, ohnmächtig gefangen zwischen dem Wunsch zu helfen und dem Fügen in die Realität, dass Hilfe letztendlich nicht möglich ist.
Eine ungewohnte Form der Schilderung hat Robert Schindel gewählt, als er diese „Realsatire“ in Form eines Theaterstückes schrieb. Mit Dialogen, Regieanweisungen. Was ihm damit gelingt, ist eine Aufarbeitung, die klar vor Augen führt, welches Grauen das Leben damals umfasste. Gerade noch geht man seinen gewohnten Abläufen nach, wenig später ist man schon tot, auch wenn man noch am Leben ist, denn die Nazis haben wieder nach nach jemandem gegriffen. Es geschieht alles in kurzen Dialogen, es steht alles in den knappen Regieanweisungen. Reales und Satire.
Es ist bedrückend. Bedrückend, dass es möglich war. Es ist genau so bedrückend, dass dieser Ungeist, der nur Leid gebracht hat, dass dieser Nazi-Ungeist heute wieder an Stärke gewinnt (hat er überhaupt jemals wirklich verloren?). Auch wenn alle diese Leute, wie immer sie heissen mögen, heutzutage natürlich viel fescher sind und die schwarz/braune Uniform gegen Schal und Taferl getauscht haben. Und weltoffener sind sie natürlich auch, denn jetzt sind es nicht nur ein paar Millionen Juden, Zigeuner, nein heute nehmen wir alle Ausländer. Damit es sich auszahlt.
Knapp 120 Seiten, die mich wieder daran erinnert haben, dass es Kapitel in unserer Geschichte gibt, die wir niemals vergessen dürfen. Es ist nicht der erhobene Zeigefinder, der dies von mir einfordert, denn den findet man nicht. Es ist die reale Selbstverständlichkeit, mit der Unaussprechliches geschehen konnte.
Dunkelstein – ab dem nächsten Schuljahr bitte in den Lehrplan.