Giancarlo de Cataldo: Schmutzige Hände
Autorin/Autor: De Cataldo, Giancarlo
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Ein Thriller, der die Vernetzung von Staat und Verbrechen in sich selbst widerspiegelt. Auf welcher Seite von Recht und Gesetz befindet man sich gerade, gibt es überhaupt eine Trennung zwischen Gut und Böse?
Es ist verwirrend. Denn es scheint so zu sein, dass man niemanden ganz eindeutig zuordnen kann. Im Italien der 1990er Jahre ist einerseits alles im Umbruch, andererseits aber bleibt alles so wie es immer war. Die Organisationen von Staat und Mafia sind voneinander nicht abzugrenzen, können ohne einander scheinbar nicht existieren und müssen gleichzeitig einander bekämpfen und miteinander kooperieren.
Es ist die Zeit nach dem Fall des Kommunismus in Osteuropa, die Zeit der Morde an den Mafiajägern Falcone und Borsellino, die Zeit als das alte politische Establishment in Italien verschwand. Kurz schien es so, als wurde es die Justiz schaffen, die verbrecherischen Strukturen aufzudecken. Doch wäre sich noch Richter und Staastanwälte unter Lebensgefahr durch den Sumpf wühlten, begann schon ein neues Establishment, es sich wohlig an der Macht einzurichten. Nur neue Namen, aber alte Strukturen. Einer, der damals seine Macht verfestigte ist Silvio Berlusconi.
Mitten in diesen Umwälzungen ist es Dottore Nicola Scialoja, der als Commissario einen vorerst sehr unklaren Weg geht. Denn was bezweckt er in Wahrheit damit, wenn er das Gespräch mit allen sucht – mit den neuen, kommenden politschen Machthabern, gleichermaßen wie mit den aufstrebenden neuen Paten des Verbrechens? Sein augenscheinliches Ziel ist die Eindämmung der Gewalt.
Er verfügt über außerordentlich gute Informationen, doch damit sind auch seine Gegner ausgestattet. Und die haben auch noch einen ganz speziellen Trumpf in der Hand: Patrizia, die Geliebte Scialojas, die Frau, der er sich nicht entziehen kann, versorgt seinen Gegenspieler Rossetti mit Informationen.
Es ist nicht einfach, einen Einstieg in dieses Buch zu finden. Namen, Informationen, Fakten, Geschehnisse schwirren nur so umher, jedes kurze Kapitel spielt an einen anderen Schauplatz, bringt neue Mitspieler auf den Plan, der Rolle vorerst unklar bleibt. So viel kann man als Aussensteher gar nicht über die Verhältnisse in Italien wissen, um dabei nicht den Überblick über die handelnden Personen zu verlieren und darüber wofür sie stehen und was ihre Ziele sind.
Doch je mehr man liest, desto besser versteht man. Vor allem dann, wenn man die Seiten des Buches neben die Seiten der Tageszeitungen von heute legt und beim Vergleichen bald nicht mehr genau unterschieden kann, was davon denn nun Fiktion und was den nun Tatsache ist. Das alles wird noch verstärkt durch die teilweise emotionslose, fast reportagehafte Schilderung im Buch.
Alte und neue Mafia-Klans, Geheimlogen, Kommunisten, Sozialisten, Christdemokraten, alte und neue Unternehmerdynastien, Geheimdienste, Mailand, Rom, Neapel, Palermo. Überall dort hinein reichen die Verbindungen und überall dort sind auch die Wurzeln von Korruption und Verbrechen. Da lassen sich einfach keine klaren Grenzen mehr ziehen.
Doch so – und das vermittelt dieses Buch ganz klar – ist es eben in Italien. Es ist der Staat, in dem das Verbrechen gewissermaßen institutionalisiert wurde, in dem Politik, Politiker und Mafiapaten sich damals wie heute einvernehmlich Einfluss, Macht und Geld aufteilen, ein Staat in dem einfach alles untrennbar miteinander verwoben ist.
Nach allem, was man aktuell hört, liest und mit erlebt, was heute im Italien des Silvio Berlusconi vor sich geht, stellt sich natürlich die Frage, ob sich nach Jahrzehnten der vorgeblichen Jagd auf das organisierte Verbrechen und der gelegentlichen Meldungen über Verhaftungswellen unter den Paten, ob sich also überhaupt irgend etwas geändert hat – oder jemals etwas ändern wird.
Denn sobald einer verschwindet, steht immer schon ein Nachfolger bereit. Wer folgt zB. Berlusconi nach (lange kann es ja wohl nicht mehr dauern…) und werden sich seine Nachfolger genauso schamlos an Recht und Gerechtigkeit vergreifen werden wie er und seine Vorgänger?
Giancarlo De Cataldo ist im Zivilberuf Richter in Rom und die Verfilzungen und Machenschaften, die er beschreibt sind – natürlich – frei erfunden. Doch man kann wohl annehmen dass der Kern dieses Thrillers auf seinem Insider-Wissen basiert und die reine Wahrheit über die Zustände im Land ist. Und da kommt man dann mit Original-Shakespeare nicht mehr durch (Etwas Vieles ist faul im Staate…)
PS: da bin ich doch froh, in Österreich zu leben. Erstens sind unsere Bundeskanzler weniger skurril (ok, also zumindest weniger geliftet) als Berlusconi und zweitens sind viele unserer diversen (Ex)politiker mit „..asser“ im Familiennamen zwar vielleicht korrupt, aber wenigstens keine Mafiapaten, denn …
PPS: .. folgt man der Staatsanwaltschaft in Wr. Neustadt, dann tritt bei uns die Mafia nur in Form von Tierschutzorganisationen auf. Lieb, nicht?