Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand
Autorin/Autor: Jonasson, Jonas
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Sündi
Allan Emmanuel Karlsson hat im letzten Jahrhundert wahrlich eine Menge erlebt. Kaum ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung wo er nicht seine Finger oder noch mehr von sich im Spiel hatte. Da er für sein Alter noch erstaunlich agil ist, steigt er aus dem Fenster des Seniorenheims, in dem er residiert und macht sich wie man so schön sagt vom Acker. Wir schreiben Montag, den 2. Mai 2005 und die Vorbereitungen zur Feier seines 100. Geburtstags sind in vollem Gange. Aber Herr Karlsson will lieber noch mal ein Abenteuer erleben und er sollte nicht enttäuscht werden.
Bereits am Busbahnhof von Malmköping (richtig bemerkt, wir befinden uns in Schweden) entwendet er einem jungen Mann einen Koffer, der mit der Kleinigkeit von 50 Millionen Kronen gefüllt ist. Das Geld dient allerdings nicht zur Bestechung eines Politikers (wie gesagt wir sind in Schweden und nicht in Österreich), sondern stammt aus einem Drogendeal der Verbrecherorganisation „Never again“. Daraufhin heften sich die Mitglieder dieses Syndikats an die Fersen des Hundertjährigen, der in Pantoffeln unterwegs ist.
Selbstverständlich versetzt sich die Polizei und die Presse nach dem Verschwinden von Herrn Karlsson in helle Aufregung und startet eine landesweite Fahndung bzw. Kampagne.
Besonders der ermittelnde Staatsanwalt Ranelid wittert eine Sensation, die seiner Karriere den entscheidenden Schub verpassen kann und versteigt sich zu aberwitzigen Theorien.
Inzwischen ist Herr Karlsson mit dem Bus in die schwedischen Wälder unterwegs, trifft dort auf den Kleinkriminellen Julius Jonsson und die beiden freunden sich an. Als dann der seinen Koffer suchende Drogendealer auftaucht gibt es den ersten Toten – es handelte sich allerdings um ein Versehen, da es in einer Kühlkammer nun mal halt wirklich ziemlich kalt wird, wenn man vergisst sie wieder aufzumachen.
In weiterer Folge stoßen in diesem Road-Trip ein Imbissbudenbesitzer, eine schöne Frau mitsamt einem Elefanten(!), sowie Schäferhund, aber auch der Chef des Verbrechersyndikats „Never Again“ aufeinander und jagen mit den verschiedensten Vehikeln kreuz und quer durch Schweden. Und die Polizei in Gestalt von Kommissar Aronsson ist immer einen Schritt hintennach, fast so wie im richtigen Leben.
So weit so gut, aber parallel dazu erzählt Jonas Jonasson (der Autor) die schier unglaubliche Biographie von Allan Emmanuel Karlssen, eine dreiste Lügengeschichte von beinahe Münchhausenscher Dimension. Nachdem sich der junge Karlssen den Beruf des Sprengmeisters selbst beigebracht hat und es ein unfreiwilliges Opfer gab, gerät der völlig unpolitische Schwede in die Fänge der Weltpolitik.
Oppenheimer gab er den entscheidenden Tipp zum Bau der Atombombe, selbigen Dienst erwies er Josef Stalin. Einer der vielen Verlobten von Mao tse Tung rettete er das Leben. Mit dem amerikanischen Vizepräsidenten Harry Truman leerte er zwei Flaschen Tequila während Präsident Roosevelt verstarb. Mit Herbert Einstein, dem Bruder des berühmten Physikers, legte er Wladiwostock in Schutt und Asche und auch der gegenwärtige Diktator von Nordkorea Kim Jong il saß bereits als Kind auf seinem Schoß und weinte bittere Tränen.
Dies ist nur ein kleiner Auszug aus dem ereignisreichen Leben von Allan Emmanuel Karlssen in einem turbulenten Jahrhundert und die Episode mit Mei Ling, der Frau des Revolutionärs Tschiang Kai-Shek erspare ich uns lieber, denn die war mal eine wirklich unangenehme Frau, mein lieber Schwan.
Karlssen überquerte weiters den Himalaja (im zweiten Anlauf, denn beim ersten Versuch hatte er sich verlaufen), geriet in Gefangenschaft des iranischen Geheimdienstes in der Ära des Schahs (iranische Gefängnisse sind aber auch heute noch keine Beauty-Farmen) und rettete Winston Churchill das Leben – eine Leistung, die er im Spanischen Bürgerkrieg auch für General Franco erbrachte.
Jonassons Werk mit dem doch etwas sperrigen Titel ist eine Mischung aus Kriminalsatire und Geschichtsroman, erinnert phasenweise an „Forrest Gump“, wenngleich Allan Emmanuel Karlsson nicht mit jener grenzenlosen Naivität ausgestattet ist, die der Protagonist aus Winston Grooms Roman sein eigen nennen kann.
Die Sprache ist (bewusst?) einfach gehalten, daher rasch lesbar. Die Figurenzeichnung verharrt leider etwas zu sehr an der Oberfläche. Aber alles in allem eine vergnügliche, flotte Lektüre, getragen von der Phantasie und Kreativität des Autors, die zum Schmunzeln anregt, ein richtiges Sommerbuch halt. Aber der geht leider auch schon wieder zu Ende.
PS: Jetzt ist mir auch klar, warum die Kriminalitätsrate in Schweden so niedrig ist. Dort werden anscheinend nur die Dummen Verbrecher und die Klugen gehen alle zur Polizei. Bei uns scheint dies ja leider umgekehrt zu sein. Oder vielleicht doch nicht?