Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker
Autorin/Autor: Dürrenmatt, Friedrich
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Sündi
Der Tag der Bekanntgabe des diesjährigen Nobelpreisträgers für Literatur ist mir ein willkommener Anlass wieder einmal (blind) in die Lade mit der Aufschrift „Standardwerke zur Deutschmatura“ zu greifen. And the winner is Tomas Tranströmer! Da sich aber kein Gedicht des schwedischen Poeten darin befindet, wurden es wieder mal „Die Physiker“ vom guten, alten Fritz Dürrenmatt. Dieses Werk der geneigten Leserin oder dem interessierten Leser dieses Blogs vorzustellen, würde in die Kategorie „Eulen nach Athen tragen“ fallen oder wenn sie so wollen ähnlich sinnvoll wie die Ausweitung des Rettungsschirms für Griechenland sein.
Trotzdem eine kurze Darstellung des Inhalts, quasi zur Wiederholung und Belebung.
Wir befinden uns in der Villa einer Irrenanstalt – ja, blicken sie sich ruhig um, das Theaterstück hat nichts von seiner Aktualität verloren. Im Mittelpunkt stehen drei Physiker, die sich für geisteskrank halten. Der erste behauptet Albert Einstein zu sein, der zweite hält sich für Sir Isaac Newton und der dritte Naturwissenschafter, Johann Wilhelm Möbius, hat die Weltformel entdeckt, die in den falschen Händen zur Vernichtung der gesamten Menschheit führen kann.
Möbius behauptet, ihm erscheine König Salomo, um sich selbst unglaubwürdig erscheinen zu lassen und so dem Missbrauch seiner revolutionären Entdeckung vorzubeugen. Newton und Einstein sind aber in Wahrheit Agenten rivalisierender Geheimdienste, die sich ins Irrenhaus einweisen ließen, um an die Erkenntnisse ihres „Kollegen“ zu gelangen.
Die drei Physiker ermorden ihre Krankenschwestern, da sie um ihr Geheimnis fürchten. Als die Polizei unter der Leitung von Kommissar Voß die Ermittlungen aufnimmt, vernichtet Möbius die Formel und überzeugt seine „Kollegen“ ihr gefährliches Wissen zu verschweigen, um die Welt vor dem Untergang zu retten.
Doch leider ist es zu spät, weil die Besitzerin und Chefärztin des Irrenhauses Mathilde von Zahnd bereits sämtliche Aufzeichnungen kopiert hat. Sie, die einzige Verrückte im gesamten Ensemble, glaubt tatsächlich im Auftrag von König Salomo zu handeln und will mit Hilfe der Formel die Weltherrschaft erringen. Die Physiker, durch die von ihnen verübten Morde öffentlich als Verrückte stigmatisiert, bleiben im Irrenhaus eingesperrt und sehen sich nicht in der Lage van Zahnd an der Verwirklichung ihrer Pläne zu hindern.
Friedrich Dürrenmatt thematisiert in dieser „Komödie“ die Grundfrage von Ethik in der Wissenschaft, der Verantwortung des Forschers für seine Entdeckung und das Dilemma, dass einmal Entdecktes nicht mehr zurückgenommen werden kann. Newton und Einstein repräsentieren den Zwiespalt zwischen der um ihrer selbst Willen betriebenen „reinen Wissenschaft“ und der pragmatischen, auf ihre Anwendung ausgerichteten Forschung. Aus beiden Zweigen entsteht neues Wissen und lässt die Schlussfolgerung zu, dass Wissenschaft zwangsläufig zum Negativen führt.
Ob Newton und Einstein nun Verrückte, Agenten oder verrückte Agenten sind ist von untergeordneter Bedeutung. Im Vordergrund steht die Tatsache, dass Wissenschaft immer auch in die falschen Hände geraten kann und häufig auch gerät.
Dürrenmatt schrieb die Physiker im Jahr 1961 unter dem Eindruck der sich global ausbreitenden atomaren Bewaffnung.
Auch 50 Jahre nach der Veröffentlichung bzw. Erstaufführung sind „Die Physiker“ noch immer eines der am häufigsten gespielten Theaterstücke des deutschen Sprachraums.
Wie viele wissenschaftliche Theorien können dieses Privileg für ihren Gegenstand für sich in Anspruch nehmen?