Buchbesprechung/Rezension:

Manfred Wieninger: Das Dunkle und das Kalte

verfasst am 11.10.2011 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Wieninger, Manfred
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[Gesamt: 2 Durchschnitt: 5]

Wer mehr über St. Pölten weiß als „Landeshauptstadt“ , „Überschwemmung“ und „Autobahnraststätte“ möge bitte die Hand heben (St. PöltnerInnen und Menschen aus der dortigen Umgebung ausgenommen), Niemand? Ah, doch: 2, 3 Hände sind oben. Mehr wird man, schätze ich, unter jeweils 100 ÖsterreicherInnen wohl nicht finden (und ich weiß auch nichts darüber, war nicht ofter als 2 oder 3 Mal dort).

In Manfred Wieningers „Reportagen aus den Tiefen Niederösterreichs“ geht es nicht nur um die Landeshauptstadt, aber es dreht sich doch viel um die Heimatstadt des Schriftstellers und um die Region zwischen St. Pölten und Ybbs. Ein kleines, feines Büchlein hält man da in der Hand und findet darin die kleinen Geschichten, die es niemals in die Geschichtsbücher schaffen werden, ohne die aber die große Geschichte niemals möglich werden würde. Man merkt, wie viel Zeit vom Autor in die Recherche investiert wurde, denn es sind Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt er selbst nachgegangen ist, man liest also nichts, das einfach aus Großmutters Nähkästchen nachgeplaudert ist – Wieninger berichtet gewissermaßen live vom Ort des Geschehens.

Von Bimbo Binder, dem gefeierten Rapid-Kicker mit Wurzeln an der Traisen, über die mir – davor gänzlich unbekannten – Jenischen, eine Gruppe von Menschen mit eigener Sprache, die in der Gegend von Loosdorf noch hie und da zu finden sind. Vom ersten türkischen Gastarbeiter in St. Pölten. Vom Friedhof unter dem Hauptplatz. Und vom Kasernenleben, um nur ein paar zu nennen.

Meist sind es keine großen, weltbewegenden Geschichten, es sind vor allem Berichte über Menschen und Ereignisse, die in dieser Region, für eine bestimmte Gruppe von Menschen oder auch nur für einzelne Menschen ganz entscheidende Bedeutung erlangten.

Es sind aber auch Geschichten, und ihnen gibt Weninger ausreichend Raum, die vom Leid der Zwangsarbeiter, der Verschleppten, der Opfer der Nazizeit erzählen, davon, wie sie, oft namenlos geblieben, einfach verschwanden. Einige Namen aber wurden nicht vergessen, die Schicksale einzelner kann man verfolgen und sie in Erinnerung behalten. Und es sind Geschichten darüber, dass auch St. Pölten anscheinend eine jener Städte ist, die so viele Straßen haben, dass die unbedenklichen Strassenamen wohl schon alle verbraucht sind und man daher notgedrungen auf einige Leute mit Nazi-Vergangenheit als Namensgeber zurück greifen musste (und ein enormes Beharrungsvermögen darin entwickelt hat, nichts daran zu ändern).

Wer, so wie ich, bisher von Manfred Wieninger nur Kriminelles gelesen hat, wird von der fast spielerischen Erzählweise der Geschichten überrascht sein (Zynismus a la Marek Miert: Fehlanzeige). Aber, und hier haben wir doch eine Gemeinsamkeit zu den Krimis, er vermittelt auch in diesem Buch seine oft sehr kritische Sicht auf die Dinge, hindert uns daran, Vergangenes einfach zu vergessen, Gegenwärtiges zu übersehen, Ungerechtigkeit hin zu nehmen.

Wieninger schreibt mit einer Leichtigkeit, die das Lesen zu einem wirklichen (Lese)Vergnügen macht. Oder einen (zum wiederholten Mal) den Kopf schütteln lässt über das, was hier bei uns vor nicht allzu langer Zeit geschehen ist. Alles, während man ganz unbemerkt und unaufdringlich wenig dazu lernt und danach die Region und die Menschen, die dort leben ein bisschen besser kennt.

Und falls man das nächste Mal an den Autobahnausfahrten Loosdorf, St. Pölten, Ybbs vorbei rauscht und man hat gerade Lust auf eine Pause: abfahren und an den Orten, die Wieninger so treffend beschreibt einen kurzen Halt machen. Vielleicht trifft man ja auf jemanden der/die das Jenische beherrscht oder auf einen, der dem Weg ist, der nächste Rapid-Kickerstar zu werden. Oder sieht sich alles einfach nur mit eigenen Augen an.

Als PS diesmal ein Tip für alle, die mehr wissen wollen:
St. Pöltner Straßennamen erzählen
von Manfred Wieninger, erschienen im Jahr 2002 im Löwenzahn Verlag




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