Buchbesprechung/Rezension:

Wolfgang Ruge: Gelobtes Land

verfasst am 24.01.2012 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Ruge, Wolfgang
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Von einem, der, wie er glaubte und hoffte,  ins Land der Verheissung zog und dessen Überzeugung dort auf eine harte Probe gestellt wurde. Der Weg des Wolfgang Ruge aus Nazideutschland in Stalins Sowjetunion und wieder zurück in die DDR.

Ein Lebensweg, den man wohl eher als Leidensweg bezeichnen muss. Wolfgang Ruge durchlebte fast alles, was Europa im 20. Jahrhundert an Diktaturen und Diktatoren und an Unterdrückung zu bieten hatte, Flucht vor den Nazis, Straflager und jahrelange Verbannung im Gulag inklusive.  Er durch- und überlebte es, was er angesichts seiner Erlebnisse lange Zeit wohl nicht als selbstverständlich annehmen konnte.

Wolfgang Ruge kehrte im Jahr 1957 aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück und wurde in der DDR einer der führenden Historiker. Liest man seine Erinnerungen, dann muss man sich die Frage stellen, warum er trotz all der Unterdrückung, die er unter Stalin erleiden musste, in einem kommunistischen Land leben wollte und konnte.

In den Jahren 1984-1986, rund 30 Jahre nach seiner Rückkehr, schrieb er den ersten Teil seiner Erinnerungen nieder, 1998-1999 und somit erst 10 Jahre nach dem Ende der DDR verfasste er den den zweiten Teil, in dem es Straflager, Verbannung und Rückkehr geht. Die Veröffentlichung blieb allerdings seinem Sohn Eugen Ruge vorbehalten, der die Manuskripte, fünf Jahre nach dem Tod des Vaters, aus Herausgeber in Buchform heraus brachte.

Es sind die Erinnerungen eines damals noch jungen Mannes, der in seinem Innersten (es öffentlich zu tun hätte wohl das sofortige Todesurteil bedeutet) die Politik unter Stalin in Frage stellte, der unter dieser Politik jahrelang zu leiden hatte, einzig wegen des Umstandes, dass er Deutscher war. Und das, obwohl er sich, schon lange bevor Hitlerdeutschland die Sowjetunion überfiel, für den Kommunismus entschieden hatte und nach Moskau gekommen war um von dort aus die Revolution in die Welt hinaus zu tragen. Er schildert eine Welt, in der sich die Mehrzahl der Menschen in ihr Schicksal fügt, in der das Regime den Hunger als Waffe einsetzte. Wer täglich ums Überleben kämpft, hat nicht die Kraft für Widerstand. Und viele Millionen hatten auch nicht die Kraft zum Überleben.

Die beiden ersten Teile des Buches muten fast wie eine Erzählung an, manchmal so, als ob Wolfgang Ruge über die Erlebnisse ines andere Menschen berichete. Die Emigration, die Jahre in Moskau, die zeit, in der das Regime Schritt für Schitt brutaler wurde.

Es ist der dritte Teil in dem der Irrsinn und die Qual fast körperlich spürbar werden. Es sind die Leidensjahre im Arbeitslager, dominiert von Hunger, Kälte, Intrige und Angst. Jetzt wird die Ausdrucksform härter, jetzt bekommt man den Hauch einer Ahnung und kann dabei kaum verstehen, wie all dies zu überleben war. Und dann, wenn man glaubt, dass es nicht mehr schlimmer kommen kann (und als Mitteleuropäer des Jahres 2012 keine Ahnung hat, wie zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch jemand am Leben sein konnte), folgt ein Kapitel mit dem Titel „Die schlimmste Zeit beginnt“.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer zu verstehen, wie tief der Glaube an den Kommunismus als Zukunftsmodell in einem Menschen verankert sein konnte. Da vermochten auch die Verbrechen des Stalinismus nichts daran zu ändern, die Kenntnis vom Leiden und Sterben vieler Millionen Menschen. Marx, Engels, Lenin blieben über jeden Zweifel erhaben, ihre Lehren und ihr Vermächtnis das Ideal.

Wolfgang Ruge beschreibt seinen Lebensweg in den Jahren 1933 – 1956. Die Welt zu dieser Zeit wird lebendig, aber nicht so lebendig, dass man sich vorstellen könnte, wie es damals war – das kann man aus heutiger Sicht einfach nicht – aber so real und lebensnah erzahlt, wie es ihm nur möglich war. Dabei zieht er immer wieder eine Grenze zwischen dem war gerade geschieht (die Diktatur Stalins) und dem wie es sein sollte (der reine Kommunismus als gelobtes Land für die Menschen). Es ist diese Grenzziehung, die ihm wohl den fortgesetzten Glauben an diese Ideologie ermöglichte.

Wir werfen einen Blick auf das Innere von Geschehnissen, über die nicht mehr viele erzählen konnten, denn die meisten haben die Lager nicht überlebt. Dann, langsam nach Ende des Krieges, beginnen sich die Lebensumstände zu etwas verbessern, doch die entscheidene Veränderung lässt noch viele Jahre lang auf sich warten. Erst mit dem Tod Stalins im Jahr 1953 geht ein Aufatmen durch das riesige Land.

Ruge berichtet darüber, wie schnell sich die Verhältnisse ändern, wie schnell die Kritik am toten Diktator einsetzt, wie schnell sich schon auf die kleinsten Veränderungen die Hoffnung auf das endgültige  Entstehen eines menschlichen Kommunismus/des wahren Sozialismus  gründet. Doch das ist, wie wir wissen, letztendlich auch nur ein kurzen Aufflackern gewesen.

Vor kurzem habe ich Bloodlands gelesen, die wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit Hitlers und Stalins. Wolfgang Ruges Erinnerungen sind dazu eine sehr wertvolle, enthüllende und ehrliche Ergänzung: so fühlte sich an, was die unfassbar grausamen Regime des 20. Jahrhunderts mit und aus den einzelnen Menschen machten. Und manchmal berichten beide Bücher in sehr ähnlicher Art und Weise von den gleichen Begebenheiten.

Für mich ein wichtiges und lehrreiches Buch zum Verstehen dieser Zeit. Und eines jener Bücher, die man nützen sollte, um die damals begangenen Verbrechen niemals zu vergessen.




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