Arne Dahl: Gier
Autorin/Autor: Dahl, Arne
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Früher, so in etwa bis Ende der 1980er-Jahre, da war es relativ überschaubar. Der Kalte Krieg definierte Gut und Böse, je nachdem auf welcher Seite des Eisernen Vorhanges man lebte und damit hatte man jederzeti einen guten Stoff für einen Thriller. Heutzutage benötigt man ein paar mehr Zutaten. Man nimmt z.B. die Mafia oder eine andere weltweit operierende Verbrecherorganisation, ein wenig Umweltkriminalität dazu, eine Prise Finanzhai, einen Schuss Drogenhandel und hat den Stoff für den Thriller von heute zusammen.
Wenn der Autor des ganzen dann Arne Dahl heisst, lehnt man sich in seinem Lesesessel zurück, nimmt sich den Tag (und vielleicht auch noch den kommenden und den darauf folgenden) frei und stürzt sich hinein ins Abenteuer Lesen.
Arne Dahl nimmt sich in diesem Thriller des organisierten Verbrechens und der Welt der Finanzen (falls es da überhaupt einen Unterschied gibt) an, dort wo Investmentbanker, Hedgefonds und Korruption das Geld anderer vergnügt verspekulieren und wo die Mafia langsam aber sicher in alle Bereiche der Geschäftswelt einsickert – ja, jetzt versteht man auch den Buchtitel „Gier“. Wir dürfen getrost annehmen, dass das meiste, was in diesen Sphären geschieht niemals an die Öffentlichkeit gelangt, deshalb ist diese Story ebenso als Wahrheit wie als reine Fiktion einzustufen – wir wissen es nicht, können uns aber durchaus vorstellen, dass ähnliches passiert (ist).
Als zukünftiges Bollwerk gegen die Machenschaften länderübergreifend agierender Verbrecherorganisation wurde eine Abteilung innerhalb von Europol gegründet und diese geheime Abteilung erhält nun ihre Feuertaufe. Dort, wo es um riesige Geldsummen geht, dort zündeln auch stets die Verbrecher. Und gerade flackern an verschiedenen Orten kleine Feuer auf, zuerst scheinbar unabhängig voneinander, doch es sind die Vorboten eines großen Flächenbrandes, der bald alle Mittel und Maßnahmen zur Bekämpfung erfordern wird.
Eines haben diese Verbrecheroraganisationen mit der geheimen Europol-Abteilung mit den Namen „Opcop-Gruppe“ gemeinsam: die Mitglieder kommen aus einer Vielzahl von EU-Ländern. Mit dem Unterschied, dass die PolizistInnen gerade noch dabei sind, ihre Sprach- und Organisationsbarrieren zu überwinden, als sie in einen Fall hineingezogen werden, der wie gemacht scheint für das europäische Gegenstück zum FBI. Mit dabei sind einige der schon aus früheren Dahl-Thrillern bekannten schwedischen Ermittlerinnen und Ermittler, die sich nun mit ihren KollegInnen aus dem anderen Ländern zusammenraufen müssen.
Arne Dahl hat die Abteilung mit einer ganzen Menge an PolizistInnen ausgestattet (wie viele eigentlich?) und schafft es bald, diese trotz der großen Anzahl jeweils mit einem einprägsamen Charakter auszustatten. Keine Angst also vor den vielen Namen und Personen, die schon zu Beginn des Buches herum schwirren – man gewinnt rasch den Überblick.
Fortan geschieht alles gleichzeitig: die Teammitglieder lernen miteinander zu arbeiten, die Abteilung findet ihren Platz im Konzert der europaweit fast unüberschaubaren Anzahl an Ermittlungsbehörden, mit denen es gilt zusammen zu arbeiten. Und aus den einzelnen Verbrechen, die zu Beginn noch völlig unanhängig voneinander schienen, beginnt sich ein umfassendes Bild abzuzeichnen.
Hier geht es nicht um einzelne Taten und Ereignisse, wie den Tod eines Chinesen beim G20-Gipfel in London, das Surfen einer Putzfrau aus Stockholm im Internet, verschlüsselte Mails an eine Regierungsstelle in Riga oder eine wie ein Kunstwerk aufgebreitete Leiche einer Unbekannten. Hier haben wir es mit einer europa- nein, weltumspannenden Aktion zu tun. Einer Aktion gesteuert von Organisationen, denen ein Menschenleben genau Nichts wert ist. Und damit geraten auch die Mitglieder des Teams selbst in höchste Gefahr. Aus anfänglich mühevoller Spurensuche wird zunehmend ein Jagd auf Leben und Tod.
Genau so sind meine Lieblingsthriller gestrickt: es geht praktisch um das Schicksal der ganzen Welt, es wird geklotzt und nicht gekleckert. Das Klotzen beherrscht Arne Dahl zweifelsfrei perfekt: er entwickelt ein Szenario, das wie ein Paralleluniversum zu der Welt erscheint, wie wir sie kennen. So real wie nur möglich, eingebettet in Ereignisse, die uns aus den Nachrichten bekannt sind, gespickt mit Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, deren Namen wir regelmäßig hören und lesen. Da kann man sich schon vorstellen, dass es so etwas wie diese Story gibt.
Die Vermengung von Realität und Fiktion ist ausserordentlich gut gelungen und verschafft ein enorm spannendes Lesevergnügen, der man gerne die eine oder andere allzu zufällige Zufälligkeit verzeiht. Das Buch nimmt die Leserin/den Leser mit jeder Seite mehr gefangen, je rasanter die Handlung wird, desto weniger kann man sich davon lösen – es ist, nicht sehr originell formuliert aber völlig zutreffend: atemraubende, prickelnde Spannung!
Leider ist es damit nach knapp 500 Seiten auch schon wieder vorbei. Aber die Hoffnung lebt, denn Arne Dahl hat weitere Romane rund um die Europol-Abteilung versprochen.