John Freely : Platon in Bagdad
Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam
Autorin/Autor: Freely, John
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Der Untertitel „Wie das Wissen der Antike zurück nach Europa kam“ beschreibt das Thema des Buches noch weit genauer als der Titel selbst. Der Umstand, dass in der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends n.Chr. und dann noch bis in die Mitte des 2. Jahrtausends hinein, die Wissenschaften vor allem im islamischen Teil der Welt blühten, während bei uns in Europa das Mittelalter für Rückschritt und Verelendung sorgten, das ist wohl bekannt.
Wie aber alles das zusammen gehört, wie sich unser Wissen in einer durchgehenden Linie von alten Griechenland aus bis zu uns in unsere Gegenwart entwickelte und verbreitete, das wiederum wird vielen im wahren Umfang nicht geläufig sein – ich war vor der Leküre dieses Buches einer davon.
Abseits von Platon, Aristoteles, Herodot & Co gab es im alten Griechenland eine kaum überschaubare Zahl an Gelehrten, die schon ab dem 7. Jahrhundert v.Chr. die ersten Schritte in Richtung unseres heutigen Wissens unternahmen (Anscheinend hatten aber diese alle eine weitaus weniger gut funktionierende Presseabteilung, denn die meisten von ihnen waren mir bislang gänzlich unbekannt). Wie John Freeley sehr detailliert beschreibt, waren es aber gerade die Erkenntnisse viele dieser unbekannteren Gelehrten, die es den „Prominenten“ erst ermöglichten, darauf basierend ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entwickeln und zu veröffentlichen. Und dabei gab es ganz erstaunliche Erkenntnisse, denen man die fast 3.000 Jahre wahrlich nicht ansieht, die seit ihrer Entdeckung vergangen sind.
Bis zum Ende des (West-)Römischen Reiches florierten das Geistesleben und die Wissenschaft , danach versiegten alle Quellen und Europa und mit ihm Griechenland wurden ins Mittelalter (zurück) geworfen. Während nun in weiten Teilen Europas die Wissenschaften für mehrere Jahrhunderte kaum mehr eine Rolle spielten, wurde Konstantinopel ein neues Zentrum des Wissens, von wo aus sich dieses immer weiter nach Osten ausbreitete.
Bald schon übernahmen die islamisierten Araber vieles von dem jahrhundertelang aufgebauten Wissen und dort wo früher die griechisch/lateinischen Städte Athen, Rom, Byzanz oder Alexandria in Mittelpunkt standen waren es nun Orte wie Bagdad, Kairo, Damaskus oder Cordoba, in denen Forschergeist und Weltoffenheit vorherrschten. Als sich dann Europa langsam aus dem Mittelalter und aus den Fängen der Inqusition befreien konnte, da waren es erneut die Werke der alten Griechen und die oft darauf aufbauende Arbeit und neuen Entdeckungen der islamischen Gelehrten, die die Basis legten für den Aufstieg von Wissenschaft und Forschung. Und damit für unser heutiges Leben.
John Feeley verlangt der Leserin/dem Leser einiges ab. Mit einer Vielzahl an Namen und Fakten beschreibt er minuziös die Chronologie der Erkenntnisse und ihren Weg durch die Zeit und über die Kontinente. Das ist für jemanden wie mich, der über ein nicht so umfangreiches Basiswissen wie der Autor verfügt, gelegentlich verwirrend und manchmal beinahe unüberschaubar. Auf häufiges Vor- und Zurückblättern sollte man sich also einstellen.
Das Buch ist an der Grenze zwischen wissenschaftlicher Arbeit und populärwissenschaftlicher Aufarbeitung angesiedelt und fordert dabei ein gehöriges Maß an Konzentration beim Lesen ein. Die schiere Menge an Namen, versehen mit jeweils einer kurzen Beschreibung von Leben und Wirken, erlaubt es dem Autor dabei nicht, in die Tiefe zu gehen. Manchmal, wenn mich die Menge an gelieferten Informationen zu erschlagen drohte, hätte ich mir ein bisschen weniger Fakten und ein wenig mehr an Interpretation und Aufzeigen von Zusammenhängen gewünscht.
Keine einfach so nebenbei zu konsumierende Kost sondern eine ungemein dichte und faktenträchtige Abhandlung über wissenschaftliche Leistungen über viele Jahrhunderte und Kulturkreise hinweg – ergänzt mit Querverweisen und Einschätzungen der jeweiligen Bedeutung für die weitere Entwicklung und mit faszinierenden und manchmal auch überraschenden Details gespickt. Insgesamt ist „Platon in Bagdad“ eine Art Ausgangbasis, für das Entdecken historischer Zusammenhänge. Dabei werden auch noch ein paar Klischees (die aus den Umständen des 20. und 21. Jahrhunderts erwachsen sind) zurecht gerückt.
Bleibt am Ende die Frage: Warum reist das Wissen weiter und verbleibt nicht wenigstens zum Teil an allen Orten, an denen es schon einmal war? Es wäre doch schön, würden sich das Wissen und der Wissensdurst und die Lust auf die Entdeckung von Neuem wieder auf die Reise machen und in jenen Weltgegenden, die sich in den vergangenen Jahrzehnten verstärkt rückwärts orientierten, wieder für einen Sprung nach vorne sorgen.