Buchbesprechung/Rezension:

Joseph Roth: Das Spinnennetz

verfasst am 17.07.2012 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Roth, Joseph
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[Gesamt: 4 Durchschnitt: 4]

Ein Blick auf eine Zeit, in der Hass und Ziellosigkeit die schlimmsten Instinkte der Menschen hervorriefen. Theodor Lohse steht als Beispiel für viele, die für ihr eigenes Versagen die anderen – die Russen, die Kommunisten, die Sozialisten, die Juden – verantwortlich machten und daraus die Legitimation für den Aufbau des Regimes der Rechten herleiteten.

Im Jahr 1923 veröffentlichte Joseph Roth diesen kurzen Roman. Noch nicht als Buch, sondern in mehreren Teilen in der Arbeiter-Zeitung in Wien. In gebundener Form erschien das Spinnennetz erstmals erst mehr als 40 Jahre später, im Jahr 1967. Es ist dies der erste Roman von Jospeh Roth, der zuvor nur einige Erzählungen veröffentlicht hatte.

„Das Spinnennetz“ beschreibt den Weg des Theodor Lohse, der als Leutnant aus dem ersten Weltkrieg zurückkehrt und sich in dieser Welt ohne Militär, mit aufkeimender Demokratie nicht zurecht findet. In Berlin kommt er – mehr schlecht als recht – mit ein wenig Rechtsstudium und  mit einer Anstellung als Hauslehrer über die Runden.

Eines jedoch wird ihm in seiner engen Gedankenwelt immer klarer: egal, wo er auch hinkam, gleich, welche Ziele er sich setzte, überall war es ein Jude, der sich über ihn erhob, der augenscheinlich mehr Erfolg hatte, der dem jungen Theodor Lohse den Weg nach oben versperrte. Während sich sein Zorn immer mehr in Wut und Hass steigert, findet er bald den Kontakt zu Gleichgesinnten, zu jenen, die wie er die Demokratie zutiefst verabscheuen und die alles tun, um Gegner aus dem Weg zu räumen.

Lohse schließt sich der geheimnisvollen Organisation S II an, die vom weit entfernten München aus die Fäden zieht und in deren Zentrum ein fast magisch wirkender Name zu stehen scheint: „Ludendorff“.

Für Lohse eröffnet sich eine Welt der Geheimbünde, der heimlichen Operationen, der Bespitzelung und bald auch die Welt des Mordes als Mittel zum Erfolg. Langsam arbeitet sich Lohse hinauf in der Hierarchie und wird bald auch über die Organisation hinaus bekannt.

Mit Hinterlist, Lüge und Falschheit versucht er einen Widersacher nach dem anderen aus dem Weg zu räumen. Dafür findet er Helfer, die ihn nicht nur unterstützen, sondern ihn gleichfalls hintergehen und betrügen. Es ist ein ewiger Kreislauf von Bedrohung, Unterdrückung und Erpressung, in dem sich Lohse und mit ihm seine eigenen Helfer, gegenseitig in Schach halten, unterstützen und einander auch wieder immer weiter nach oben helfen. Dass seine beiden engsten Helfer Juden sind, das hat Lohse mit dem aufstrebenden Hitler gemeinsam, der später auch einige jüdische Menschen, die ihm genehm waren, gleichsam begnadigte.

Roth beschreibt im Jahr 1923 eine apokalyptische Welt und erweist sich dabei als Prophet, sieht klar, was weniger als 10 Jahre später zu einer realen Apokalypse führen sollte. Intrige, Intoleranz und Dummheit sind nur einige der Eigenschaften, die die Welt der Nationalen Rechten charakterisieren und daraus entwickelt Joseph Roth ein Szenario der Unterdückung und des Hasses.

Fünf Jahre sind seit dem Ende des 1. Weltkrieges vergangen und noch ist keinesfalls klar, wer am Ende den Machtkampf zwischen Demokratie und Diktatur gewinnen würde. Roth beschreibt hier den Aufstieg der Diktatur und sieht dabei vieles von dem voraus, was in den folgenden Jahren tatsächlich eintreten sollte.

Die schlimmsten Taten der Zukunft aber, die wollten selbst ihm damals noch nicht in den Sinn kommen.

Zum Abschluss: Theodor Lohse machte immer die anderen für sein eigenes Versagen veranwortlich und leitete daraus sein Recht ab, Gewalt auszuüben. Fast 90 Jahre ist es her, dass Joseph Roth darüber schrieb. Und wenn man sich heute umsieht und die Nachrichten verfolgt, dann findet man sie noch immer: diejenigen, die ihre eigene Dummheit und Unzulänglichkeit hinter der Gewalt gegenüber anderen zu verstecken versuchen. Von wegen Homo sapiens sapiens.




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