Buchbesprechung/Rezension:

Friedrich Ani: Süden und das heimliche Leben

verfasst am 09.01.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Ani, Friedrich
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SuedenManchmal möchte man einfach verschwinden, möchte das Bisherige hinter sich lassen. Pech hat man dann, wenn es Menschen gibt, die sich sorgen und die dann zu allem Überfluss einen Privatdetektiv wie Tabor Süden engagieren. Gerade den, für den das Auffinden verschwundener Menschen quasi ein Passion ist.

Ilka Senner, 46, ist Kellnerin  in einem kleinen Lokal in München. Zwei Tage ist sie nun schon verschwunden, einfach nicht zur Arbeit erschienen und nicht erreichbar. Ihr Handy ist abgeschaltet, ihre Wohnung macht nicht den Eindruck, als wäre sie verreist – alles da, alles an seinem Platz. Sonderbar bei einer wie ihr, auf die man sich immer verlassen konnte. Chef und Chefin möchten die  Erfolglosigkeit der Polizei nicht einfach hinnehmen und auch die Stammgäste des Gasthauses „Charley’s Tante“ verlangen Aufklärung und alle legen für das Honorar eines Privtadetektives zusammen.

Da kommt Süden (früher Kommissar bei der Kripo in München, nun Privatdetektiv) ins Spiel, der zu Beginn so gar nicht begeistert ist von der Suche nach der verschwundenen Kellnerin.

Südens Suche nach der Frau, die nicht gefunden werden will, führt ihn durch so ziemlich alle menschlichen Verirrungen und Zerwürfnisse, die es geben kann. Die Geschichte der Familie, ihrer Schwester Paula, ihrer Eltern – eine Chronologie der Lieblosigkeit. Ein hasserfüllt zurück gebliebener früherer Geliebter. Eine Freundin, die nichts über den Verbleib der Verschwundenen sagen kann oder will. Ein Anrufer, der von Ilka nur wenig schmeichelhaft beschrieben wurde.  Eine Schwester, die kaum etwas weiß. Alte Schulkameraden, die fremde Namen benützen.

Es gibt da ein Bild, aber Süden erkennt noch nicht den Inhalt. So wie bei einem Puzzle, von dem man zuerst den Rand legt und das dann nach innen hin immer mehr an Profil gewinnt. Und schon bald die Gewissheit: Ilka Senner ist nicht einfach überaschend verschwunden. Es war ein Rückzug aus ihrem eigenen, öffentlichen Leben und der war wohl geplant.

Auch wenn Tabor Süden Detektiv ist und früher Polizist war: ein Krimi im eigentlichen Sinn ist dieses Buch nicht. Es ist (auch) die Offenlegung einer Reihe von Menschenschicksalen. Man möchte sagen: typischen Schicksalen, wie man sie überall finden kann; Menschen mit alltäglichen Schwäche. Mit ein paar Absätzen breitet sich eine ganze Lebensgeschichte aus, mit wenigen Sätzen die ganze Gedankenwelt eines Menschen.

Eine Geschichte über das Unvermögen aufeinander zuzugehen und einander zu verstehen. Über die Verschlossenheit und über die Angst, sich anderen gegenüber zu öffnen (die in Zeiten sozialer Netzwerke in Wahrheit wohlbegründet ist). Über das Nebeneinander, das das Miteinander immer mehr verdrängt. Über Phantasien, die im Kopf Schritt für Schritt die Wirklichkeit überdecken.

Mit seiner Art, hinter die Dinge zu blicken und in sie hinein, macht Friedrich Ani aus einer Story ganz ohne Mord- und Totschlag ein spannendes Buch. Spannung, die aus dem Handeln und Denken der Charaktere entsteht.

Bis das Handeln und Denken unvermittelt eine unsichtbare Grenze überschreitet. Dann wird es plötzlich notwendig, dass Tabor Süden die verschwundene Frau schnell findet; gelingt das nicht, könnte Ilka Senner vielleicht für immer verschwunden bleiben.

Ani lässt es so aussehen, als wären die Spuren und Hinweise, die Tabor Süden immer weiter voran bringen nicht zufällig gefunden sondern als müssten sie genau so und genau dort zu genau jenem Zeitpunkt gefunden werden, wie es im Buch steht. Keine gekünstelten Situationen, Reaktionen, Gespräche; so wie der Autor es schreibt, genau so kann es wirklich passieren.

Nicht massentauglich weil zu wenig geradlinig, zu wenig simpel, zu wenig Blut, Mord- und Totschlag. Sehr lesenswert, weil nicht geradlinig, nicht simpel und ein wenig undurchsichtig.

PS: vor nicht allzu langer Zeit habe ich mich darüber gewundert (und es als übertrieben empfunden), dass es in vielen Krimis nur so von kaputten, asozialen, gewissenlosen Typen wimmelt, während „normale“ Leute eine verschwindende Minderheit sind. Wenn ich mir aber die Nachrichten der letzten Zeit ansehe, dann ist so ein Krimi dagegen noch ein wahrer Hort an Harmonie und Liebe.




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