Hannes Stein: Der Komet
Autorin/Autor: Stein, Hannes
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Man nehme: das Jahr, nun sagen wir: 1905 (5 Jahre auf oder ab machen da keinen großen Unterschied). Man merke sich, ja man bewahre, was in dieser Zeit gesellschaftlich und politisch aktuell ist und transferiere es so rund hundert Jahr vorwärts in die Zukunft. Und dort (jetzt, heute, hier) trifft dieses Alte auf eine neue Welt der Technik und Wirtschaft; und schon hat man hat einen Was-wäre-wenn-Roman!Wir befinden uns in Österreich. Österreich-Ungarn, denn da muss man schon genau bleiben. Die k.u.k. Monarchie ist noch immer da, Sarajewo hat niemals stattgefunden und die Habsburger regieren noch immer standesgemäß von Hofburg, Schönbrunn und den sonstigen Schlössern aus.
Die gute, alte Zeit (quasi die Postkartenidylle mit Kaiser und der Sisi-Nachfolgerin und natürlich den Lipizzanern) hat sich bis in die Gegenwart erhalten, während parallel dazu die Technik zu einer des 20. Jahrhunderts wurde. Manches davon ist sogar viel weiter gediehen, als wir es uns vorstellen können. Weil ohne Sarajewo ja auch der erste Weltkrieg und folglich schon gar nicht der 2. stattzufinden hatten, blieb Europa nicht nur weitgehend friedlich sondern auch europäischer Erfindergeist in Europa (und durfte/wollte sich nicht als glückliche Kriegsbeute in die USA oder andersowohin umsiedeln lassen).
Die Raumfahrt also blieb den Deutschen und wenn es schon nicht der Wernher von Braun war, der den Flug zum Mond schaffte, dann war es eben der Hermann Oberth.
Insgesamt sieht in diesem Universum die Weltkarte von heute mehr oder weniger genau gleich aus wie die von damals. Neben Österreich-Ungarn gibt es da u.a. noch das Deutsche Kaiserreich, den Zaren im Kreml und die Japaner in der Mandschurei. Alle Kolonien in Afrika und Asien sind es geblieben und Amerika, dem kein Krieg in Europa den nötigen industriellen Anschub verpasste, ist gewissermaßen noch das Land der wilden Abenteurer. Aber wenigstens haben die Menschen dort das allgemeine Waffentragen mit unseren realen und gegenwärtigen US-Freunden gemeinsam.
Ziemlich böse also, wie Hannes Stein die Welt beschreibt (Manch satanisches Hohngelächter vermag man da aus der Ferne zu hören).
Zurück nach Europa und von dort aus gleich weiter auf den Mond: der ist ein Teil des deutschen Kaiserreiches (logisch, weil die Preußen waren ja auch die ersten dort oben), ist bewohnt und wird regelmäßig von Linienmaschinen angeflogen (auch von der k.u.k. Fluglinie und das in nur 38 Stunden). So weit draussen hat man als Vorposten der Menschheit natürlich einen viel besseren Blick ins All als die Erdlinge. Dieser (Blick) aber fällt auf etwas, das dieser schönen alten, neuen Welt spielend leicht den Garaus machen könnte (hoppla, jetzt ist es heraus..).
Im Buch vermengen sich vor allem zwei Dinge: das sind einmal viel kleine Blicke auf reale Personen oder Ereignisse, die es tatsächlich gab oder gibt; nur ein wenig abgewandelt, damit sie in diese Welt passen (ich sage nur: Darth Vader auf der Theaterbühne). Dann sind da die Erinnerungen an Personen und Ereignisse, die es wirklich gab, die aber in dieser veränderten Welt ganz anders gelebt bzw. sich zugetragen haben (Weil es den Zaren noch gibt, wurde zB. aus Lenins Reise aus der Schweiz nach St. Petersburg ja wohl nichts, uvm.).
Darunter finden sich einige großartige Ideen und beinahe geniale Ansätze, wie man tatsächlich Geschehenes in diese utopische Welt hinein versetzen kann.
Leider aber wechseln einander Genialität und Langeweile in schöner Regelmäßigkeit ab. Kaum hat sich ein neuer Gedanke enthüllt, der ein neues Freuerwerk an Originalität verspricht, gleitet der Text in Langatmigkeit ab. Ich schließe mich hier ausnahmsweise der Leidenschaft des Autors für Seitenhiebe an und behaupte meinerseits: gäbe es das Wort Langatmigkeit nicht, man müsste es für einzelne Abschnitte dieser Buches erfinden.
Möglich zwar, dass in diesen Abschnitten Seitenhiebe auf dies und das enthalten sind, aber wenn man diese eventuellen Dies und Das nicht kennt, ist es mühsam. Schade dann um eine tolle Idee.
So bleibt mir ein sehr zwiespältiges Resumee: einerseits sticht „Der Komet“ in vielem aus der Masse der „Was-Wäre-Wenn-Romane“ heraus. Das Umschreiben und Umdeuten von Fakten, um damit eine neue Realität zu schaffen, ist jedenfalls bemerkswert und erlesenswert. Andererseits ist es zu oft so langweilig, dass man nur mit Mühe das Einnicken über dem aufgeschlagenen Buch vermeiden kann.
Spannend zu lesen; aber sicherlich kein literarisches Muss.