Buchbesprechung/Rezension:

Erich Kästner: Fabian
Die Geschichte eines Moralisten

verfasst am 06.06.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Kästner, Erich
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Aus der Sicht der Nazis war es wohl nur logisch, die Werke eines Meisters des pointierten Dialoges zu verbieten. Denn Erich Kästner hielt den Braunen ihre eigene Dummheit und die Primitivität ihres eigenen Denkens so punktgenau und unwiderlegbar unter die Nase wie kaum ein anderer. 1931 schrieb er mit „Fabian“ eine genial geistvolle Satire zwischen Lachen und Weinen, 2 Jahre später wurden seine Bücher von den Nazis verbrannt; alles Geistvolle war für sie „entartete Kunst“.

Kästners Sätze und Dialoge sind so treffsicher, so großartig, dass sie auch heute noch, mehr als 80 Jahre nach der Veröffentlichung, wie eine Satire auf das Tagesgeschehen und das alltägliche Leben wirken. Auf das heutige, wohlgemerkt.

„Fabian“ ist ein Buch der Erzählungen. Es könnten auch lauter einzelne Kurzgeschichten sein, die zufälligerweise einen gemeinsamen Hauptdarsteller haben: Jakob Fabian. Jakob ist der Vorname. Der lebt sich so durch die Großstadt Berlin seiner Zeit (die 1930er? die 2010er? ganz wie man es sich vorstellen mag) und erlebt die Welt um sich herum wie ein Panoptikum der Kuriositäten und Absonder- und Befremdlichkeiten.

Sind es auch einzelne Geschichten, so verdichten sie sich, wie eine Puzzle, doch immer mehr zu einem vollständigen Bild. In einer bewerkenswerk rasanten, unglaublich gegenwärtigen Erzählweise reihen sich die Begebenheiten (ich mag es fast gar nicht schreiben; tue es aber doch: „… reihen sich die Abenteuer Fabians“) in rascher Folge aneinander. Kurze Sequenzen, schnelle Umschnitte: ganz so, wie man es von heutigen, aktuellen Film- und TV-Produktionen kennt.

Es war ein wenig anders geplant

„Der Gang vor die Hunde“ ist der von Erich Kästner selbst erdachte, ursprüngliche  Titel des Buches. Das kam bei seinem Verleger aber nicht besonders gut an (gab es Bedenken wegen der unruhigen politischen Zeiten?). Dabei hätte dieser Titel schon so viel über den Inhalt ausgesagt. Im Berlin zu Beginn der 1930er vermengen sich gerade die Lebensläufe der Leute mit viel Geld, mit den Wegen der Leute ohne Moral, mit denen der Leute ohne Arbeit und mit denen der Leute mit Rassenwahn-Phantasien und Hakenkreuzbinde am Arm. Die Wirtschaftskrise ist noch nicht verdaut und eine unsichere Zukunft zeichnet sich ab.

Fabian, zunächst noch als Werbetexter beschäftigt, ist später dann, im Verlaufe der Geschehnisse, ohne Arbeit, was ihn aber nicht davon abhält, sich ganz dem Treiben der Stadt und der Zeit zu ergeben. Er wird wie zufällig umhergespült und ahnt dabei wie … siehe Kästners Titelwunsch.

Mit jedem Schritt  trifft er bei seinen Streifzügen auf Menschen, denen die Moral abhanden gekommen ist; oder die sich ihre ganz eigene Moral zurechtgezimmert haben. Fabian widersetzt sich den Versuchungen, seinen eigenen, scheinbar ungetrübten Moralgrundsätzen untreu zu werden. Was nützt es aber, wenn dieser einzelne Mann bei seinen Grundsätzen bleibt, während rundherum Anstand, Moral und Gewissen vergessen werden.

Was nützt es am Vorabend der Apokalypse. Dass die kommt, scheint sicher. Da stellt sich natürlich die Frage, ob man nicht, wenn sowieso alles dem Ende zugeht, die Moral über Bord werfen kann und sich einfach der Lust und dem Moment hingegen soll. Fabian bleibt standhaft… obwohl: so einen Hakenkreuzler könnte man doch … und unmoralisch wäre das wohl nicht …

Wichtiger Hiweis: nicht vergessen, nach dem Lesen eines Kapitels zu dessen Anfang zurückblättern und die Kapitelüberschriften nochmals lesen. Denn erst jetzt wird klar, was da steht!

Kästner, Erich, der unbekannte

Neben Stefan Zweig, Joseph Roth, Franz Werfel, etc. muss auch Erich Kästner unbedingt in der Riege der großen Mahner in den 1920ern und 1930ern stehen. Tatsache ist aber, dass Kästner nur als Kinder- und Jugendbuchautor zu Ruhm gekommen ist, während seine großartigen Bücher zum Zeitgeschehen nur wenigen bekannt sind. 

„Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“ ist eine Mahnung. Und eine Warnung vor dem, was Erich Kästner als unausweichlich ansah: das Ende der demokratischen Ordnung, den Sieg des Totalitären und die Ohnmacht des wachsamen Einzelnen gegenüber der gleichgültigen Masse. Aber es hörte niemand auf seinen Warnungen, wie wir wissen.

Bei allem Bezug zur Realität der Jahre vor der Machtergreifung Hitlers sind Erich Kästners Bücher, noch viel mehr als die Werke seiner Zeitgenossen, so enorm modern und aktuell in Stil und Inhalt; als ob sie gerade erst geschrieben worden wären.




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