Buchbesprechung/Rezension:

Joël Dicker: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

verfasst am 15.09.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Dicker, Joël
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Hat der gefeierte Autor Harry Quebert vor mehr als 30 Jahren die damals 15-jährige Nola Kellergan ermordet?

Der Roman zu dieser Frage beginnt bemerkenwertswert, steigert sich zu großartig und endet grandios:  ein wirklich tolles Buch, für mich bislang die absolute Nummer 1 des Literatur-Jahres 2013. (Und einer der durchaus seltenen Fälle, in dem ich mit den Verkaufs-Bestellerlisten übereinstimme).

Es ist ein Buch über ein Buch über einen Schriftsteller. Und ein Buch über einen Schriftsteller, der ein Buch schreibt, das von einem Schriftsteller handelt. Es ist ein Kriminalroman und ein Thriller und eine Familiengeschichte. Es ist … also ehrlich gesagt, lässt sich dieses Buch nicht in eine bestimmte Schublade einordnen, vieles aus vielen Genres findet sich darin.

Worum es geht

Begonnen hat alles im Jahr 1975, als das Mädchen Nola verschwand. Keine Spur von ihr, kein Lebenszeichen: sie mag entführt worden sein, davon gelaufen – trotz groß angelegter Suche finden sich keine Hinweise. Bis 33 Jahre später ein purer Zufall einen Gärtner ein Loch für eine Pflanze graben lässt und er dabei auf menschliche Überreste stößt. Dieses Loch befindet sich im Garten des Hauses des gefeierten Schriftstellers Harry Quebert in dem kleinen Ort Aurora in New Hamsphire.

Marcus Goldmann war einst Student beim großen Harry Quebert und hat vor kurzem selbst seinen ersten Bestseller geschrieben. Marcus und Harry teilen nicht nur die selbe künstlerische Gabe sondern sind auch durch eine tiefe Freundschaft verbunden. Als Marcus rein gar nichts einfällt, als der Abgabetermin für sein neues Buches unaufhaltsam näher rückt und er noch nicht eine einzige Zeile geschrieben hat, flüchtet er gewissermaßen zu Harry. Raus aus New York, hin in die Einsamkeit New Hampshires, sucht er Hilfe bei seinem einstige Lehrer.

Doch auch dort will sich die Inspiration nicht einstellen. Eines aber bringt der Besuch: das Wissen um die Beziehung Harrys zu Nola vor 33 Jahren. Der 34-jährige Mann und das 15-jährige Mädchen, eine Affäre, die geheim bleiben musste. Marcus findet zufällig Fotos und Texte, Harry beschwört ihn, seinen Fund geheim zu halten, den die Veröffentlichung würde Harrys Leben zerstören.

Monate später hört Marcus vom Fund in Harrys Garten und eilt nach Aurora um dem Freund beizustehen, der als Mordverdächtiger im Gefängnis sitzt und seinen Prozess erwartet; denn die menschlichen Überreste waren als die von Nola identifiziert worden. Marcus reist nach New Hampshire und lässt einen verzweifelten Agenten und einen zornigen Verleger in New York zurück, denn für seinen neuen Roman hat er noch immer nichts geschrieben. Kein einziges Wort.

Schuldig oder Nicht Schuldig

Marcus ist von der Unschuld des Freundes felsenfest überzeugt. Damit allerdings scheint er alleine dazustehen. Die Polizei verfügt über eine ganze Reihe an Indizien, die allesamt auf einen Täter hindeuten: Harry Quebert. Der Wagen, den man in der Nacht vor 33 Jahren davonrasen sah: so einen besaß auch Harry. Das Manuskript von Harrys Bestseller, das man bei den vergrabenen Überreste des Mädchens fand. Der Umstand, dass Harry schon damals verdächtigt wurde. Überhaupt die ganze damalige Liebesaffäre, die jetzt publik wird.

Marcus wird zum einzigen Verbündeten, zur einzigen Hoffnung für Harry, der drohenden Todesstrafe zu entrinnen.

Raffiniert, wie Joël Dicker die Indizien auflistet, die Stimmen aus der Bevölkerung wiedergibt, das Verhalten Harrys beschreibt. Man ist versucht, in dem einen Absatz an seine Unschuld zu glauben, im nächsten ihn für den Mörder zu halten, dafür eine andere Person zu verdächtigen. Dabei gelingt es Dicker, die Meinung weit ausschwingen zu lassen, während er dafür nur ganz einfache Sätze schreibt, es gar nicht nötig hat, uns mit aufregenden Wendungen zu animieren: wir lesen und die Aufregungen entstehen ganz wie von selbst im Kopf.

Parallele Zeiten: 1975, 1998, heute

Im Sommer des Jahres 1975 verliebte sich Harry in das Mädchen Nola, 19 Jahre jünger als er, und schrieb seinen Bestseller. Davor war er nur ein begabter Schriftsteller gewesen, danach kannte ihn ganz Amerika. Aber niemand kannte sein Geheimnis. Er konnte nicht anders, als sich Hals über Kopf in Nola zu verlieben, gleich bei ihrer ersten Begegnung, zufällig, am Strand. Und sie verliebte sich ebenso schnell in ihn. Harry wusste, es durfte niemand erfahren.

1998 wurde Marcus am Borrows College der Schüler des großen Harry Quebert und wollte ein Schriftsteller werden. Mit einem recht ungewöhnlichen Auftritt während einer Vorlesung hatte Marcus das Interesse seines Professors auf sich gezogen. Daraus entstand ein Freundschaft, die Marcus in den folgenden Jahren seiner Studienzeit letztendlich half zu lernen ein Schriftsteller zu sein. Denn es ist Harry, der seinem Schüler den Spiegel vorhält und ihm damit den nötigen Antrieb verschafft.

Im Sommer 2008 schreibt Marcus seinen neuen, seinen zweiten Bestseller: über das, was mit Nola und Harry wirklich geschah. Geplant hatte er das nicht. Er fuhr nach Aurora um Harry zu helfen, um selbst an der Klärung mitzuwirken. Der Druck seines Verlegers wurde dann zu groß und Marcus konnte sich am Ende nicht widersetzen. Er hatte die Wahl das Buch zu Schreiben oder von seinem Verleger nach allen Regeln der Kunst verklagt zu werden. Gespräche und Nachforschungen führen ihn Schritt für Schritt an die Wahrheit heran und parallel dazu entsteht das Buch über den Fall Harry Quebert.

Diese 3 Zeitebenen laufen im Buch parallel ab, im steten Wechsel. Dabei fügen sich die Abschnitte so nahtlos eineinander, dass man mühelos durch die Jahre folgen kann, ja man ist sicher, dass alles in genau dieser Abfolge erzählt werden muss.

Ein toller Roman

Auf über 700 Seiten Spannung zu erhalten ist für sich alleine schon eine Leistung. Dies aber mit so einfachen, fast beiläufigen Mitteln zu erreichen, das grenzt schon fast an genial. Joël Dicker gelingt es spielend/spielerisch, die Linie der Handlung vorzugeben, einige Details daraus zu enthüllen und dabei alles zu einem richtiggehend greifbaren Bild zusammen zu formen.

Und darin bleibt Raum, den man nur allzu gerne mit eigenen Gedanken zum Buch, zum Geschehen auffüllt. In diesen Raum füllt Dicker laufend neue Information nach, legt neue Spuren, gibt neue Hinweise, überrascht mit neuen Details. Bis zum Schluß bleibt im Dunkeln, wer welche Rolle spielt, was Wahrheit und was Lüge ist; wer Nola Kellergan tötete.

Schon lange habe ich kein Buch mehr gelesen, das einen solchen Sog entwickelt; zur Seite legen ist kaum möglich und wenn man es doch einmal schafft, dann nimmt man es wenig später wieder zur Hand und liest weiter; muss weiter lesen. Aus scheinbar ganz alltäglichen Vorgängen komponiert Joël Dicker eine enorme Spannung, die vom ersten bis zum letzten Wort im Buch aufrecht bleibt. Man erwartet mit jeder Seite eine neue Wendung und man wird niemals enttäuscht:  auf  Erklärungen folgen neue Rätsel, wo sich ein Verbindung zeigt, stellt sich eine neue Frage, was wie eine Lösung aussah, entpuppt sich als Verirrung. Und das alles praktisch bis zur letzten Zeile.

Es wundert mich überhaupt nicht, dass dieser Roman in zig Ländern auf den Bestsellerlisten steht. Denn dort gehört er hin. Er liest sich wie von selbst. Toll. Ein Muss. Beeindruckend. Atemlos. Lesen!

Was andere meinen

Buchdiskussion im Literaturclub (SRF): für mich ein Musterbeispiel des mutwilligen Zerredens um jeden Preis. Nur eine (Elke Heidenreich) ordnet dieses Buch vorbehaltlos dort ein, wo es hingehört – zur Unterhaltungsliteratur. Die anderen ergehen sich in versnobten Kritikerphrasen ….

PS: die letzten 100 Seiten las ich immer langsamer, machte mutwillig Pausen; ich wollte einfach nicht, dass bald das Ende des Buches kommt.




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