Buchbesprechung/Rezension:

Nathanael West: Eine glatte Million

verfasst am 30.09.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: West, Nathanael
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Eine Glatte MillionWas für ein böses Buch! Da wird man als LeserIn von Sätzen im Stile der Gebrüder Grimm oder des Hans-Christian Andersen empfangen, als ob es ein Märchen wäre. Und dann geschehen in diesen Sätzen die unglaublichsten Dinge, einfach alles, was Menschen an Bösem und Unglück widerfahren kann. Böse, aber genial!

Das, was Betty Prail und Lemuel Pittkin erleben müssen, das würde ihnen niemand glauben, würden sie es jemandem erzählen. Welche Ungerechtigkeit man sich aus ausdenken möge, welches Verbrechen jemand an ihnen beginge, sie müssen es nicht nur über sich ergehen lassen; nein, sie sind zugleich auch völlig unfähig, aus dem Geschehenen etwas zu lernen, aus ihren Erfahrungen weiser zu werden.

Denn sie haben etwas, um das sie die Menschen in allen anderen Ländern der Erde beneiden müss(t)en: sie glauben an den „American Dream“. Alles wird sich zum Guten wenden, wenn man nur fest genug daran glaubt und man es nur wirklich will. Diese Unerschütterlichkeit lässt sich durch nichts ins Wanken bringen und hält bis zum bitteren Ende. Und falls es doch nicht klappt, dann sind in jedem Fall die Kommunisten Schuld – oder, auf heute bezogen: die „Liberalen“; … ja man mag dieses Wort fast gar nicht aussprechen!

Ob ein Mann mit Geld der Frau mit Kind ihr Haus wegnehmen will, nur damit er noch mehr Geld in die Taschen bekommt. Ob ein angesehener Mann mit platten Weisheiten dem Bittsteller so überzeugt, dass er aus dessen Armaut sogar noch Kapital schlagen kann. Ob Staatsanwälte nur auf ihre Wiederwahl, nicht aber auf die Gerechtigkeit achten.  Ob, ob, ob… Da ist so viel an vertrauten Geschichten dabei, man kann nur verwundert den Kopf schütteln und sich die Haare raufen vor lauter Mitleid mit den Hauptdarstellerin und vor Fassungslosigkeit über ihre Gutgläubigkeit.

Doch die wollen das Mitleid doch gar nicht, so unerschütterlich glauben sie weiterhin an das Gute, obwohl ihnen immer nur das Böse begegnet.

Hätte Nathanael West mehr als vier Romane geschrieben, was wäre dann noch an Geschichten entstanden, die damals, in den 1930ern, und heute gleich aktuell sind? Mit seinem scheinbar perfekten Spürsinn für zeitlose Themen nimmt er sich in „Eine Glatte Million“ den unerschütterlichen Glauben der Amerikaner vor, dass wohl aus jedem ein Millionär werden kann, fängt er/sie nur als Tellerwäscher an. Ja selbst eine Entsprechung zur heutigen Tea Party hat er dazu erfunden.

So denkt man beim Lesen dieses Romanes aus dem Jahr 1934 unwillkürlich und oftmals an das, was heute Meldungen über den unerschüttlichen Glauben der US-Amerikaner an diverse Mythen über den Atlantik zu uns dringt. So wie Betty und Lemuel trotz anhaltender Rückschlähe und Ungerechtigkeiten davon überzeugt sind, am Ende würde ihnen alles gelingen, so gibt es ja auch heute noch die Millionen Menschen, die mit Begeisterung an den Lippen irgendwelcher Börse- oder sonstiger Gurus hängen, die ihnen, gegen einen kleinen Obulus natürlich, den Weg zu Glück und Reichtum erklären. Und dabei nur selbst gewinnen.

West schrieb eine zynische, eine brutale Satire, mit der es ihm wirklich perfekt gelang, diesen ganzen Pathos als Propaganda zu entlarven. Aber es hat ihm niemand zugehört, denn unzweifelhaft steigt die Zahl derer, die sinn- und gedankenlos den Träumen anderer nachlaufen, weiterhin stetig an.

Dieser märchenhafte Stil des Romanes macht das Lesen leicht, schwungvoll. Man wandert also mit den Augen die Zeilen entlang, liest; liest weiter und findet heraus, dass es ganz anderswo hinging, als man glaubte. Blickt ein paar Zeilen zurück, wieder nach vorne; und ist hin und her gerissen zwischen Amusement, Ungläubigkeit, Abscheu oder Mitgefühl.

Man wird hin und wieder spüren, wie kalte Schauer über den Rücken laufen, hin und wieder lächeln bis lachen und sehr oft an etwas denken, das genauso oder sehr ähnlich gerade oder vor kurzem tatsächlich passiert ist.

Nathanael West hat vor rund 80 Jahren den ganzen Glauben an den Aufstieg aus der Armut, der für alle möglich wäre, der Lächerlichkeit überführt. Für mich der bislang mit Abstand stärkste, eindrucksvollste Roman von Nathanael West, den ich gelesen habe.

Selbst wenn man sich für die anderen Bücher Wests nicht interessiert: „Eine glatte Million“ ist „eine glatte Pflichtlektüre“.




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