Buchbesprechung/Rezension:

Hugo Bettauer: Das blaue Mal

verfasst am 07.10.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Bettauer, Hugo
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Amerika, gegen Ende des 19. Jahrhunderts: der Wiener Biologe Dr. Rudolf Zeller ist auf Studienreise in den USA unterwegs. Eine Erbschaft ermöglichte es ihm, seine Tätigkeit als Professor für längere Zeit zu unterbrechen. Nun ist er auf dem Weg nach Georgia um einen Bekannten zu besuchen und für eine Weile dort zu bleiben. Für Zeller ist es der Weg in eine fremde Welt der Vorurteile und des Rassenhasses.

Je weiter er in den Süden der USA kommt, desto auffälliger und brutaler werden die Ressentiments. In Georgia schlussendlich angekommen, ist er inmitten eines Staates gelandet, in dem die Sklaverei zwar nach dem Ende des Sezessionskrieges verboten, aber noch lange nicht überwunden wurde.

Immer öfter gerät er in Diskussionen mit Südstaatlern, für die die „Neger“ auf einem Niveau mit den Affen angesiedelt sind und die brutal gegen alles vorgehen, von dem sie meinen, dass es den „Negern“ nicht zusteht. Zeller wiederum hat überhaupt kein Verständnis für diesen Hass, stößt aber mit seinen Argumenten, wie zu erwarten, nur auf Unverständnis und auf immer mehr Ablehnung. Für die Weißen im Staat Georgia stellt sich die Frage nach Gleichberechtigung nicht, für sie sind die angeblichen Unterschiede zwischen Menschen unterschidlicher Hautfarbe von Gott bestimmt und für die Ewigkeit gedacht.

Die Situation eskaliert, als die Frau von Zellers Gastgeber ganz bewusst Lügen verbreitet, um die Menge gegen die dunkelhäutigen Menschen aufzustacheln; sie erfindet einen Angriff eines farbigen Arbeiters auf sie. In der aufgeladenen Stimmung finden sich im Handumdrehen genügend Männer, die dieses angebliche Verbrechen rächen wollen. Und das bedeutet den Tod für den Beschuldigten.  Zeller beschließt mit Karola, dem Mädchen, in das er sich verliebt hat, zu fliehen; denn Karola ist die Tochter einer Schwarzen und eines Weissen und droht, von der fanatischen Meute der Weißen gelyncht zu werden.

Karola ist von Zeller schwanger und bringt einen Sohn zur Welt; bei der Geburt stirbt sie. Zeller verlässt Amerika und kehrt mit seinem Sohn nach Wien zurück.

Schnitt. Jahre später in Wien:

Rudolf Zeller ist einige Jahre zuvor gestorben und hat seinem Sohn, Carlo, genug Vermögen hinterlassen, damit der studieren kann. Was Carlo auch tut, jedoch mehr wegen des Versprechens, das er einst seinem Vater gab, als aus eigenem Antrieb. Carlo, der in sich auch die Gene seiner afrikanischen Vorfahren trägt, fühlt sich indes ganz und gar als Weißer, nie würde ihm etwas anderes in den Sinn kommen. Seine etwas von der Blässe der Wiener abweichende Hautfarbe lässt sich besser mit „dunklem Teint“ als mit „dunkelhäutig“ beschreiben.

Carlo lässt sich ganz in das lockere Leben eines Studenten aus gut situiertem Hause fallen. Doch die Mittel, die ihm hinterlassen wurden, reichen nicht allzu lange, vor allem, da er den größten Teil davon in seine Affären und in Vergnügungen steckt. Als er sich dann einschränken muss, stellt er bald fest, dass alle Freundschaften und Kontakte in einer finanziell beengten Lage kaum mehr etwas wert sind. Bis auf die Freundschaft zu Lisl Ortner, auf die er zu Anfang ihrer Bekanntschaft noch wegen ihrer Bescheidenheit fast hochmütig hinabblickte.

Die immer ausweglosere finanzielle Lage von Carlo und auch von Lisls Familie  führt schließlich dazu, dass zuerst Lisl zum ihrem Onkel nach New York abreist, um dort eine Weile ein behütetes Leben zu führen. Zuvor hatten sich Lisl und Carlos verlobt und wenig später folgt Carlos ihr über den Atlantik, zurück in das Heimatland seiner Mutter.

Im Land der begrenzten Möglichkeiten:

Für Carlo ist es ein ungeheurer Schock. Kaum hat er amerikanischen Boden betreten, wird er vom Menschen, der in der Mitte der Gesellschaft lebte,  zu einem Wesen unterster Klasse, zum Neger. Ausgegrenzt und verachtet von den Weißen.

Carlo ist dabei weniger über die Diskriminerung von Farbigen aufgebracht, als vielmehr darüber, dass man ihn zu diesen zählt. Es ist ein gewaltiger Absturz vom Frauenliebling in Wiener Salons zu einem Zimmer in einer billigen Absteige in New York (denn in den besseren Häusern wird ihm als Neger der Zutritt verwehrt). Und sein Absturz geht immer weiter, scheint unaufhaltsam zu sein.

Ein Gleichnis

Betrachtet man es anders herum, aus der Sicht eines Menschen, der in Europa geboren wurde, dessen Eltern unterschiedlicher Herkunft waren. Und nimmt man an, dieser Mensch käme als Säugling in die USA, wächst hier auf, verbringt hier viele Jahre und kehrt dann als erwachsener Mensch nach Europa (Deutschland, Österreich, Wien) zurück. Und nimmt man dazu an, dass sein Vater Österreicher, seine Mutter aber Tochter einer Jüdin gewesen wäre: wie ist es einem solchen Menschen hier ergangen in den Jahren, die vor dem 2. Weltkrieg lagen? Er wäre ein Ausgestoßener gewesen, verachtet. Wie Carlo. Und man hätte ihn hier in Europa später auch noch vertrieben und ermordet.

Womit Bettauerns Roman ein Gleichnis über die Verhältnisse seiner Zeit ist.

Welch genialer Gedanke:  der Autor erzählt eine Geschichte, bei der wohl die meisten seiner Leserinnen und Leser voll von Entrüstung gewesen sein müssen. Wie ungerecht, wie verbohrt doch diese Amerikaner sind! Und dabei entrüsten sie sich in Wahrheit doch über sich selbst: die Wiener, die Österreicher, die Deutschen. Sie entrüsten sich über die anderen und bemerken nicht, dass sie selbst zumindest genauso intolerant und verbohrt sind.

Vom blauen Mal ist es nur ein winziger Schritt zum gelben (Juden)Stern.

Obwohl in sehr einfacher Sprache verfasst, ist dieser Roman doch enorm beeindruckend und vor allem entlarvend.

PS: Hugo Bettauer schrieb diesen Roman im Jahr 1922. Zu dieser Zeit sah „Political Correctness“ noch anders aus; andere Wortwahl als heutzutage bedeutet aber, besonders im Fall Hugo Bettauer, keinesfalls Geringschätzung. Bettauer selbst war ein verfolgter und fern jedes Verdachtes, mit Vorurteilen zu spielen. Ich habe in dieser Besprechung bewusst die Wortwahl Bettauers weiter verwendet.




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