Buchbesprechung/Rezension:

Philip Roth: Verschwörung gegen Amerika

verfasst am 14.10.2013 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Roth, Philip
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Bis zum Juni 1940 verläuft die Weltgeschichte so, wie wir sie kennen. Franklin D. Roosevelt hat die USA aus der Rezession geführt und die Nazis haben in Deutschland die Macht übernommen. Philip Roths alternativer Ablauf der nun folgenden Ereignisse basiert auf den Sieg der Isolationisten in den USA und der Wahl von Charles Lindbergh zum US-Präsidenten.

Dieser Charles Lindbergh war nicht nur ein amerikanischer Nationalheld sondern auch ein deklarierter Freund Nazideutschlands. Bekanntschaft mit dem Führer, Ordensverleihung und regelmäßige Besuche in Deutschland inklusive. Aus diesen historischen Tatsachen entwickelt Roth ein Szenario, in dem die Amerikaner als Reaktion auf den von den Nazis begonnenen Krieg in Europa einen Präsidenten wählen, der ihnen verspricht, sich auf keinen Kriegseintritt der USA einzulassen: den Republikaner Charles Lindbergh.

Die Herausforderung, aus dem belegbaren Antisemitismus und der offen gezeigten Sympathie Lindberghs für den Faschismus (vielfach ist zu lesen, dass Lindberg selbst ein lupenreiner Nazi war) einerseits und dem damals fundamentalen Isolationismus weiter Kreise der Republikanischen Partei andererseits ein Amerika zu erschaffen, in dem diese Kräfte gemeinsam die Macht übernehmen, löst Roth bravourös. Aus den Fakten entwickeln sich fließend die Fiktionen. Die Wahrheit blendet so unmerklich in die Utopie, dass man beinahe übersieht, wo das eine endet und das andere beginnt.

In Europa Realität, in den USA Fiktion.

Philip Roth erzählt aus der Perspektive des 7-jährigen Philip Roth.  Ein Kind, das er selbst ist, erlebt, wie in wenigen Tagen und Wochen seine gewohnte Welt in eine neuen, eine fremdartige, bald feindliche mutiert. Er, der sich bislang für einen normalen Amerikaner hielt und nichts anderes kannte, der nichts anderes als die USA als seine Heimat kennt, wird plötzlich zu einem Angehörigen eines fremden Volkes. Denn schon beginnt der Kandidat Lindbergh die Worte von Hitler, Göring und Goebbels zu verwenden, spricht von fremden Elementen, vom Einfluß der Juden, von Blut und Rasse.

Lindberghs Kampagne überzeugt die Amerikaner: Lindbergh oder Krieg ist ein so eingängiger Slogan, der alles andere, wofür der Mann steht, überdeckt. Einfache Worte siegen über Weitsicht und Toleranz, damals wie heute.

Philip, seine Familie, die Freunde, die Nachbarn. Sie verfolgen hilflos, wie die Chance Rossevelts, wieder gewählt zu werden, immer kleiner wird.  Wie es in der Geschichte so oft geschah und immer wieder geschehen wird, wird der Herausforderer unterschätzt und der Favorit scheint sich seiner Sache allzu sicher – vor allem dann wenn der Gegner nur Parolen, aber keine Inhalte zu bieten hat. Roosevelt startet in den Wahlkampf als Favorit und beendet ihn als gedemütigter Verlierer. Lindbergh hingegen wird zur umjubelten Lichtgestalt der Nation.

Wie selbstverständlich tauchen sie alle auf: die Mitläufer, die Nutznießer, die Fanatiker, die Dummen. Philip Roth baut aus ihnen allen eine Welt zusammen, der man zutraut, real zu sein. Seine Worte treffen dorthin, wo sie müssen und daraus entsteht ein Bild, in das man ganz und gar hineingezogen wird. Roth erzählt und wir hören zu, während wir lesen.

In Philips Familie breiten sich zuerst Unverständnis, dann Wut, dann Angst aus. Mutter und Vater wissen um die Ablehnung, die ihnen als Juden immer öfter in weiten Teilen des Landes entgegenschlägt. Oft haben sie diese schon selbst erlebt. Hier, am Rand New Yorks hat sich eine Gemeinschaft von Menschen jüdischer Herkunft zusammen gefunden. Man wohnt in der Nachbarschaft, fühlt sich sicher.

Die Monate des Wahlkampfes vergehen in einander ablösenden Phasen der Hoffnung auf die Wiederwahl Roosevelts und der Verzweiflung, dass Lindberg siegen würde. Die Roths sind sicher, dass sich mit einem Sieg des Herausforderers ihre Lbensumstände dramatisch verschlechtern werden. Philip verfolgt die Geschehnisse, ohne wirklich ihre Bedeutung zu begreifen. Er hört im Radio die Ansprachen, die Reportagen, sieht wie Vater und Mutter mitfiebern und wie sie ungläubig mitverfolgen, wie selbst ein prominenter Rabbiner ins Lager der Republikaner überläuft.

Sie behalten recht: mit den Sieg Lindberghs wandelt sich das Land. Zuerst unmerklich. Zuerst ein wenig Diskriminierung, nur kleine Hindernisse für Juden hier und da. Jetzt treffen Philip und seine Familie immer öfter Männer und Frauen, die ihren Hass gegen die Juden nicht mehr zurück halten, nun, da der Präsident gewissermaßen den offenen Antisemitismus gesellschaftsfähig gemacht hatte. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, dass sie alle gar nicht wissen, worauf sich dieser Hass begründet.

Das aber war nur der Anfang: der Wandel wird immer augenscheinlicher. Nacheinander drängen Einschränkungen, Umerziehung, Umsiedlungen, Ghettos ins Land. So, wie es schon die Nazis vorgemacht hatten, mit denen der neue Präsident, als eine seiner ersten Amtshandlungen, umgehend einen Friedensvertrag abgeschlossen hatte. Was ist der logische, der nächste Schritt? Muss man Konzentrationslager und Vernichtung erwarten?

Der aufgestachelte Mob indes verhält ishc nicht anders, als man von den Exzessen in Nazideutschland (ein Beispiel dafür: die sog. „Reichskristallnacht“) kennt.

Einfach brilliant geschrieben.

Die Erzählweise ist ganz einfach gesagt berauschend. Aus der Sicht der Familie Roth erlebt man mit, wie sich alles ändert. Wie aus Befürchtungen und Ängsten rasch Wirklichkeiten werden. Die Roths, die sich davor nie als Juden sondern als Amerikaner jüdischen Glaubens  betrachteten, werden zu Ausgestoßenen. Wie ihnen dies geschieht und was dieser Zusammenbruch ihrer bisherigen Welt bei ihnen bewirkt, das erzählt Roth in beinahe unvergleichlicher Weise: mit ruhiger  Sprache vorgetragen, hinterlässt das Gelesene bleibenden, tiefen Eindruck; umso tiefer, je gleichmütiger der Tonfall ist, in dem das Ungeheure niedergeschrieben ist.

Philip Roth beschreibt die Geschichte dieser anderen USA, in dem er die Geschichte Nazideutschlands als Vorlage nimmt. Überraschendes in der Beschreibung der Transformation des Landes darf man sich somit nicht erwarten, ähnliches kennen wir aus unseren eigenen Geschichtsbüchern.

Das Herausragende dieses Romanes ist somit nicht die Handlung, es ist die Sprache. Die fängt ein und lässt nicht los. Und es ist dieses Motiv: daß es überall auf der Welt geschehen kann, was bei uns in den 1930er-Jahren geschah und davor und danach an vielen Orten, quer über den Erdball. Antisemitismus und Faschismus sind keine Erfindung des 20. Jahrhunderts und nicht von Deutschen und Österreichern gepachtet;  unsere Vorfahren haben im vergangenen Jahrhundert lediglich den blinden Hass und seine Auswüchse auf die Spitze getrieben. Wahrscheinlich war es nur ein glücklicher Zufall, dass ähnliches nicht auch anderswo geschah.

Abrupter Schluss

Das Ende kommt gleich überraschend schnell wie auch historisch eingebettet.  Wahrscheinlich nicht nach jedermanns/jederfrau Geschmack und am Schluss scheiden sich auch die Meinungen über dieses Buch.

Abgesehen davon, dass es am Ende etwas (zu) schnell geht, fand ich die von Roth präsentierte Wendung genau passend zum davor geschriebenen.

Historische Einordnung: das Jahr 2004

Ist dieser Roman ein Zufall? Kaum!
Sein Erscheinen passt ganz genau ins Jahr 2004.
Seine Botschaft ist: wehret den Anfängen!

Nach den Anschlägen vom 11.9. 2001 startete die republikanische Bande im Weißen Haus rund um Präsident Bush, Vizepräsident Cheney und „Verteidgungsminister“ (Kriegsminister hätte besser gepasst)  Rumsfeld eine beispiellose Kampagne.  Innerhalb der USA folgten selbst liberale Medien bald den Kriegstreibereien der Regierung mit Hurrah! Wer gegen den Krieg war, wurde diffamiert und durch die schon immer gespaltene US-Gesellschaft zog sich ein immer tiefer werdender Graben. Klerikale Fundamentalisten, Tea Party gaben den Ton an.

Und nach aussen hin überzog die Regierung Bush die Welt mit Propagandalügen, wie sie auch einem faschistischen Regime gut zu Gesicht stehen würden. Das gipfelte u.a. in dem berüchtigten „Old-Europe-Sager“ von Rumsfeld.

Kriegshetzer und verlogene Rechtsaussen-Fundamentalisten dominierten die USA. Und der Bruch in der Gesellschaft ist seitdem nicht kleiner geworden. Zwar kam es nicht zu einem offenen Ausbruch von Antisemitismus, doch in diesen Jahren wurden die rechtsradikalen Kräfte, wie auch bei uns in Europa, immer stärker.

Als George W. Bush von der Achse des Bösen sprach, vergaß er, sich selbst zu erwähnen…




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