Buchbesprechung/Rezension:

Stefan Zweig: Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers

verfasst am 13.02.2014 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Zweig, Stefan
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Geboren in Wien im Jahr 1881. Gestorben in Brasilien im Jahr 1942. Dazwischen liegen 61 Jahre, in denen sich für ihn selbst und die ganze Menschheit mehrfach alles von oben nach unten kehrte, in denen Welten untergingen und neue entstanden. 61 Jahre, in denen so viel geschah, wie in keiner ähnlich langen Zeitspanne zuvor und danach.

Stefan Zweig selbst war Zeitzeuge und Opfer dieser beispiellosen Aneinanderreihung von Katastrophen und Errungenschaften.  Als er geboren wurde, schien alles noch für die Ewigkeit unverrückbar, als er sich das Leben nahm vermochte niemand vorherzusagen, was die folgenden Tage, Wochen oder Jahre bringen würden.

Stefan Zweig lässt seine Welt auferstehen. Schon nach den ersten Seiten stellt sich das Gefühl ein, man erlebte alles mit, was er selbst erlebte.  Gleichzeitig fühlt man die Wehmut, die er über den Untergang der alten Zeit empfindet und die Distanz, die er zu deren ritualisierten, starren Vorgängen hatte.

„Die Welt von Gestern“ ist Geschichtsbuch und Biografie in einem. Es hilft enorm dabei, die darin enthaltenen Zeitabschnitte zu verstehen, sich darin zurecht zu finden und einen Eindruck davon zu bekommen, wie es sich damals lebte, was die Menschen vom Leben erwarteten und wie sie sich in den wechselhaften Zeiten orientieren mussten.

Die Lebensabschnitte

Zuerst war da das Unheil, dass sich an den Grenzen Österreich-Ungarns zusammen braute, das die Menschen kaum zu bedrohen schien und das in die Katastrophe des 1. Weltkrieges mündete. Dann folgte der Umbruch von der scheinbar so unerschütterlichen, ewigen Donaumonarchie zur ersten Republik. Es folgten die dunklen Jahre der Machtübernahme durch die Austrofaschisten und des Anschlusses an Hitler-Deutschland, die Zeit in der eine Diktatur von der anderen unter dem lauten Jubel der Österreicherinnen hinweggefegt wurde. Zuletzt das Aufbrechen des primitiven Hasses, die mönströse Brutalität und Unmenschlichkeit der NS-Zeit und am Ende der nächste Weltkrieg.

Das sind die Etappen im Leben des Stefan Zweig. Wie er alles beschreibt, wie er darüber reflektiert, wie er erzählt, gehört zu dem wahrscheinlich beeindruckendsten, was man über jene Zeit lesen kann. Denn man erfährt, wie alles, was wir aus Geschichtsbüchern kennen, auf einen einzelnen Menschen jener Zeit(en) einwirkte. Und man erfährt, wie jene Zeiten waren; wie ähnlich und wie verschieden sie zu unserer Gegenwart sind.

Nur eine Auswahl der Themen und Ereignisse, die Stefan Zweig aufgreift:

Er beschreibt, wie damals, während seiner Schulzeit, die Jugend gering geschätzt, das Alter jedoch als anzustrebender Wert an sich gewertet wurde. Wie sich junge Menschen älter machten, um geachtet zu werden (Was auch erklärt, warum die Männer auf den Fotografien allesamt so alt aussehen: sie wollten so wirken). Die Art, wie er es beschreibt, lässt es uns auch heute noch nachvollziehen – wenn auch nicht verstehen.

Seine Erinnerungen an Schnitzler, Hoffmannsthal, Altenberg und all die anderen großen Literaten in Wien Ende des 19. , Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine persönlichen Begegnungen mit denen, die heute gemeinsam mit ihm den Olymp der Literatur bevölkern und die für ihn, als er noch ganz enthusiatischer Gymnasiast war, den Status von Idolen einnahmen (heute reicht dafür ein Justin Bieber :-).

Wie überwältigend es war, als zuerst sein erster Gedichtband einen Verlag fand. Wie dann auch noch ein Prosawerk in Feuilleton der „Neues Freien Presse“ erschien; noch keine 20 Jahre war er damals alt und es war der berühmte Theodor Herzel, der ihm diese Türe öffnete. Es war jene Zeit, als Herzel mit seiner Idee von einem jüdischen Staat in Palästina für heftigen Aufruhr in Europa sorgte.

Als er mit Menschen noch ganz unbefangen umgehen konnte; genau die Menschen, die ihm, dem Juden, dem von den Nazis verfolgten Schriftsteller, Jahrzehnte später als stramme Getreue Hitlers nachstellten und ihn letztendlich ins Exil zwangen. Damals schien alles das, was die Welt später ins Unglück stürzte, viel zu abwegig um jemals zu geschehen.

Wie Deutschland eine Kreatur namens Adolf Hitler, viel zu lange unterschätzt von allen, an die Macht kam.

Stefan Zweig, der Kosmopolit

Zweig wurde schon in frühen Jahren zum Reisenden. Zunächst war es seine Sehnsucht, neue Menschen und neue Kulturen kennen zu lernen, die ihn erst quer durch Europa, dann nach Amerika, Afrika und Asien reisen ließ. Später waren es die brauen Horden, die ihn aus seiner Heimat vertrieben, Für immer.

Seine Erinnerungen an das Leben vor dem 1. Weltkrieg spiegeln auch seine Sehnsucht nach diesen alten Zeiten wider. Zeiten, in denen Kunst, Kultur und Wissenschaften zu immer neuen Höhenflügen aufbrachen und in denen er selbst ein Teil dieser Zeit des Aufbruches war. Und doch trifft er in dieser Zeit auch erstmals auf genau den Rassismus, der Jahre später Chaos in die Welt bringen wird; damals erkannte er das nur noch nicht.

Stefan Zweig lebte ein Leben, das so nahe am Atem der Geschichte war, wie es nur sein konnte. Seine Biografie wird damit zu einem Geschichtsbuch. Was Zweig (mit)erlebte, das ist die Entwicklung der Grundlage unserer heutigen Gesellschaft und Kultur. Wem er auf seinen Reisen über beinahe den ganzen Globus begegnete, ist so etwas wie ein Who-is-Who der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Am Ende stand die Verlorenheit

Was dieses Buch dabei so wertvoll macht, ist der Blickwinkel: nicht aus der Sicht der Historiker, deren derzeit so zahlreich erscheinenden Bücher zum 1. Weltkrieg vorrangig politische Vorgänge beleuchten, sondern aus der Sicht der Menschen: was dachten sie, was fühlten sie, was fürchteten und was erhofften sie. Glückliche Fügung, dass dies durch die Feder eines begnadeten Schriftstellers geschah, der uns das alles so real, so greifbar niederschrieb.

Sein Roman, dieses Buch über sein Leben, ist unzweifelhaft einer der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis dieser Epoche(n).

Das Ende des Krieges und die vielerorts wundersam zu nennende Wandlung hin zu Freiheit, Demokratie und Humanität erlebte er nicht mehr. Der Verlust aller seiner Verbindungen, seiner Heimat Europa und der Welt, die er so geliebt hatte, waren zu viel für ihn und seine Frau Lotte. Am 23.Februar 1942 nahmen sich beide im Exil in Brasilien das Leben.




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