Bernhard Aichner: Totenfrau
Autorin/Autor: Aichner, Bernhard
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Bernhard Aichners Affinität zur Totengräber-Branche ist nicht neu, in seinen drei Max-Broll-Krimis waren ein Friedhof und ein Totengräber bereits die Hauptdarsteller. Mit „Totenfrau“ bleibt Aichner seinem Thema und seinem Stil treu, wechselte aber, zwecks globaler Vermarktung, mit seinem neuesten Roman vom Haymon zum btb-Verlag.
Aufwühlend und verstörend geht es los.Was ist das für eine Szene an Bord des Schiffes in der Adria. Brünhilde (der verhasste Vorname spielt später im Buch keine Rolle mehr) Blum liegt alleine an Deck, in der Sonne. Dann hört man es; die Hilferufe aus dem Wasser, die verzweifelten Versuche, wieder an Bord zu kommen; doch wie soll das gehen ohne eine Leiter. Blum an Bord, ihre Eltern im Wasser; dort werden sie bald sterben.
Zuerst der Mord an ihren Eltern, den sie erfolgreich als Unglücksfall darstellen kann. Für sie selbst ist es ein Glücksfall in mehrfacher Hinsicht. Endlich ist sie ihre (Adoptiv) Eltern los, kann selbst über ihr Leben bestimmen, ihre Tat bleibt unentdeckt und sie trifft, wie absurd das auch erscheinen mag, auf die Liebe ihres Lebens. Mark findet sie, tröstet sie, kümmert sich um sie, liebt sie, lebt mit ihr. Dass Mark, der Polizist, dabei nicht die leiseste Ahnung von ihrer Tat hat ….
Der erste Höhepunkt des Romanes schon nach 50 Seiten. Marks Unfall mit dem Motorrad, sein Tod vor den Augen seiner geliebten Blum und vor den Augen der Kinder. Das hat mir, ganz ernsthaft, kalte Schauer über den Rücken gejagt. brrr.
Ein Unfall, Fahrerflucht, keine Spur vom Wagen, keine Spur, wer Mark getötet hat. Danach sieht es jedenfalls aus. Blum findet nur sehr langsam in die Welt zurück. Als sie die Kraft findet, sich an Marks Schreibtisch zu setzen und seine Notizen, seine Hinterlassenschaft durchforstet, stößt sie auf Aufzeichungen. Gespräche, die Mark mit einer Frau führte: Dunja.
Dunja erzählt, wie sie nach Österreich kam, wie sie illegal hier lebte, wie sie und andere Opfer eines Verbrechens wurden; jahrelang. Blum erkennt, dass es genau diese Geschichte ist, die Mark in den Tagen vor seinem Tod beschäftigte. Was wie ein Unfall aussah, war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein geplantes Verbrechen – Mark war bei seinen Nachforschungen einigen einflußreichen Menschen viel zu nahe gekommen.
Blum muss wissen, was geschehen ist. Und sie hat nur noch dieses Ziel vor Augen.
(… wie man ja immer wieder hört und liest: der erste Mord ist der schwerste. Danach wird es immer leichter …)
Bernhard Aichner goes weltweit
Zurück zur globalen Vermarktung: an irgendeinem Ende der Welt mag die groß propagierte Einordnung dieses Romanes als „Kampfansage an Skandinavien-Krimis“ per se ein Qualitätsmerkmal sein, mir persönlich würde es reichen, einen spannenden, gut geschriebenen Thriller/Krimi zu lesen; egal woher der kommt – also zB. auch aus Österreich, das sich mit seiner Vielzahl an tollen Krimiautorinnen (unter anderem Bernhard Aichner) wahrlich nicht verstecken muss.
Nun also, wozu überhaupt dieser Vergleich? Das ist doch recht oft eher der untaugliche Versuch, auf einen fahrenden Zug auszuspringen und sich ein wenig vom Ruhm anderer abzuschneiden. So hatte also die Vorab-Berichterstattung bei mir eher den gegenteiligen Effekt; weil mir aber die Max-Broll Krimis überwiegend sehr gut gefallen haben, bestellte ich mir (trotzdem?) diesen Thriller vom „Österreichischen Stieg Larsson/Arne Dahl/Henning Mankell, etc.“
Bernhard Aichner braucht wirklich keinen Skandinavien-Vergleich
Aichners oft stakkatoartige, oft drastische Darstellung, sein sehr prägnanter Schreibstil lassen keine Ruhe aufkommen. Zwar wird es nach dem (oben beschriebenen) ersten Höhepunkt eine Zeit lang etwas träge, dann aber richtig schnell. Einerseits erlauben es Aichners Sätze, enorm schnell zu lesen, andererseits dreht sich die Handlung zugleich immer schneller.
Verschlungene Beziehungen, immer wieder Zweifel, ob das gerade Gelesene so zu verstehen ist, wie es geschrieben wurde oder nur eine falsche Fährte. Dazu kommt, dass die Grenze zwischen Gut und Böse irgendwann nicht mehr auszumachen ist.
Das zieht einen in den Bann und erlaubt es, die mehr als 400 Seiten dieses Buches (sicher auch deshalb, weil mehr als 20% davon leere Füllseiten sind) an einem Tag zu lesen. Auf- und einsaugen statt lesen, könnte man sagen. Auch wenn man sich beim Einsaugen mehrfach verschluckt, weil manchmal alles zu viel, zu abgehoben, zu übertrieben und manchmal zu durchsichtig ist. Da wäre weniger mehr gewesen.
Was mir aber wirklich fehlt, das ist eine richtige Spannung. Schon bald ist offensichtlich, wohin die Story sich entwickelt und dann wird ohne Abzweigungen erwartungsgemäß abgearbeitet. Da wäre mehr drinnen gewesen.
Ich wünsche Bernhard Aichner, dass dieser Roman nun auch wirklich in den übersetzten Ausgaben erfolgreich sein wird – bei uns raste er ja, auch dank sehr guter P.R., blitzartig nach oben in den Bestsellerlisten.
Die dafür nötige Klasse, um mit den diversen (meist englischsprachigen) Thrillerfabriken mitzuhalten, hat er sicher.
Aber die hatte auch schon sein erster Max-Broll-Krimi.