Heinrich Steinfest: Der Allesforscher
Autorin/Autor: Steinfest, Heinrich
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
„Der Beginn eines jeden Buches leidet unter einem großen Manko: Es fehlt die Musik.“ Wenn es mit diesem Satz beginnt, ist man schon einmal sicher, dass man einen Steinfest liest. Also ein Buch, in dem den Gedanken und den Fantasien, wenn überhaupt dann nur sehr dünnwandige Grenzen gesetzt sind, immer bereit hindurch zu stoßen.
Die Explosion eines Wales in einer Straße in der Stadt Tainan auf Taiwan hat definitiv mehr Relevanz als ein umgekippter Reissack in China. Für Sixten Braun trifft das besonders zu, weil dieser Wal nämlich direkt vor ihm explodiert und ihm infolgedessen eine fliegende Walniere erst auf den Kopf schlägt und ihm dann das Bewusstsein raubt. Es ist der Beginn eines steinfest-typischen Ereignisreigens.
Zuerst Auftritt der Lana Senft, Ärztin aus Deutschland, die Sixtens walnieren-geschädigten Kopf wieder gerade biegt, nur um ihm gleich darauf denselben zu verdrehen. Gefolgt vom geschäftlich erforderlichen Flug nach Japan, gefolgt vom Rückflug nach Taiwan, der vorzeitig nass und unsanft im Chinesischen Meer endet. Bis hierhin sind kaum 10% des Buches gelesen, doch man ist schon wohltuend begeistert und amüsiert.
Sixtens Leben endet nicht im Meer. Er wird gerettet und damit kurzzeitig zur Medienberühmtheit. Wichtiger wäre es ihm, zu Lana Senft zu fliegen, statt dessen folgt die Heimkehr nach Deutschland. Mehr deshalb, weil er sie und ihre Eltern nicht kränken möchte, heiratet er seine Verlobte Lydia, kündigt seinen bisherigen Job und beginnt im Unternehmen des Schwiegervaters zu arbeiten. Sein Herz gehört weiterhin Lana Senft, nur den Ehering steckt er seiner Verlobten an den Finger. Zwar nicht lieblos, doch ohne Liebe.
[einige Jahre vergehen …]
Alles hat sich geändert: Sixten ist geschieden, aus der schwiegerelterlichen Firma ausgeschieden und nun Bademeister. Lana Senft ist gestorben, schon knapp ein Jahr nach ihrem Zusammentreffen. Ein Anruf erreicht Sixten.
Dieser Anruf führt (Details möge man nachlesen) über einige Verirrungen hinweg schlussendlich dazu, dass Sixten unverhofft zu einem Adoptivsohn kommt: Simon, der 7-jährige aus Taiwan, der in einer Sprache spricht, die niemand kennt. Simon ist gewissermaßen ein spätes Vermächtnis von Lana und selbst ein Rätsel, noch mehr als es seine Mutter war. Sixten nimmt die Aufgabe des Vater-Seins an, ohne sich jemals darauf vorbereitet zu haben.
Es ist nun die Geschichte der Annäherung: Sixten lernt, mit dem ihm zu Beginn völlig fremden und fremdartigen Wesen Simon zu leben. Er bekommt Dinge zu sehen, die er alleine niemals gesehen hätte und beginnt, sein eigenes Leben zu einem guten Teil auf das Leben Simon’s einzustellen; und das Geheimnis um Simons Herkunft wird gelüftet.
Wer wissen möchte, welche Art von Roman dies ist, in welches Genre er einzuordnen ist: überall und nirgends wäre eine recht passende Antwort.
So erging es mir beim Lesen: ich war hin- und hergerissen von Steinfests erzählerischem Talent (das ist natürlich nicht neu, das konnte ich schon bei früheren Bücher mit erleben).
Ich bewunderte, wie Steinfest ausgehend von einem kleinen Nukleus (hier der explodierende Wal) eine weit ausgreifende Geschichte entwickelt, die kreuz und quer über den Erdball und dabei zwischen Märchen, Lebensgeschichte, Fantasie und Liebesgeschichte (und vieles mehr) hin und her wandert.
Es ist eine schon gewohnte Situation: am Ende eines Steinfest-Buches bleiben Fragen offen. Für mich vor allem die, wie dieser Roman einzuordnen ist. Ein Geniestreich? Eine amüsante fantastische Geschichte? Vom allem ein wenig!
In Summe ein Roman, weniger sprunghaft als seine bisherigen (jedenfalls viele von denen, die ich gelesen habe). Zwar findet man auch hier die gelegentlichen Abschweifungen in alle möglichen Themen unserer Gegenwart, jedoch weniger als von Steinfest gewohnt und dann auch näher am Thema des Buches (anders gesagt: Steinfest kommt in diesem Roman nicht vom 100. ins 1000., höchstens ins 10.).
Dabei aber einnehmend und überzeugend. „Der Allesforscher“ ist – so die Zusammenfassung all dieser so unterschiedlichen Eindrücke aus dem Buch – nahe dran an meinem Steinfest-Favoriten Wo die Löwen weinen
PS: die Explosion eines Wales gab es im Jahr 2004 tatsächlich auf Taiwan. Jedoch nicht in der Stadt Tainan, sondern in Taipeh.