Buchbesprechung/Rezension:

Jean Echenoz: 14

verfasst am 04.04.2014 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Echenoz, Jean
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Über die Ursachen, den Ablauf und die wirtschaftlichen und politischen Folgen des 1. Weltkrieges gibt es eine unüberschaubare Anzahl an Büchern. Über die Wirkung des Krieges auf die einzelnen Menschen und die Auswirkung auf ihr Denken und Handeln schon viel weniger. Der französische Autor Jean Echenoz benötigt nur knapp 120 Seiten um genau das zu beschreiben.

Die Nachricht vom Ausbruch des Krieges erreicht eine kleine Stadt in der Nähe der französischen Atlantikküste. Der so oft in alten Filmaufnahmen gezeigte – und heute für uns so unendlich befremliche und unverständliche – Hurra-Patriotismus ergreift auch dort die Menschen, wo man doch in Wahrheit nichts über den Feind weiß.

In allen am Krieg beteiligten Ländern wird die Bevölkerung in zwei Teile gespalten (nur eine der vielen Gemeinsamkeiten unter den Feinden): da sind die, die an die Front transportiert werden und die, die daheim geblieben sind – sie alle warten darauf, dass dieser Krieg, dass diese Ungewissheit in irgendeiner Form zu Ende ginge.

Daheim findet beinahe ein Leben statt, als ob es keinen Krieg gäbe, als ob man nicht jederzeit mit schlimmen Nachrichten von der Front rechnen müsste. Nur die jungen Männer sind nicht da. Unter der Woche, zu der Zeit als sie früher ihrer Arbeit nachgingen, fällt es nicht so sehr auf. Am Wochenende aber ist es stiller als früher.

Blanche ist mit zwei jungen Männern, Brüder, verbunden, die gemeinsam in den Krieg gezogen sind. Anthime, er ist 23 Jahre alt, und Charles, vier Jahre älter, die im selben Büro arbeiten, deren Lebensziele so unterschiedlich sind, die zwar keine enge Freundschaft miteinander verbindet, die aber über ihre Zuneigung zu Blanche etwas gemeinsam haben.

Wie im Zeitraffer gehen die Jahre vorüber. 120 Seiten für einen ganzen Krieg, für Millionen Tote, für den Zusammenbruch alter Ordnungen. Vom vermeintlichen Aufbruch in ein kurzes Abenteuer in die Jahre, die die Hölle waren. Tage, Wochen, Monate werden sie marschieren, graben, töten, marschieren, graben, töten; abgestumpft, automatisch, gefühllos.

Jean Echenoz bewältigt diese Herausforderung, weil er sich auf das zentrale Thema beschränkt: dass es am Ende sind es nicht Staaten oder Herrscher sondern die einzelnen Menschen sind, die  unten den Entscheidungen anderer leiden müssen.

Der große, weltweite Krieg manifestiert sich in dir und in mir, in jedem von uns und wird damit zu unser aller individuellem Unglück. Er manifestiert sich in Blanche, Anthime und Charles.

Von der Gruppe, die im August 1914 aus der kleinen Stadt in den Krieg aufbrach, kehren nur wenige zurück; sie sind verbraucht, verstört, verwundet. Charles wird schon bald getötet; Charles, der Vater von Blanches wenige Monate nach Kriegsausbruch geborener Tochter. Anthime kehrt lebend zurück, bleibt aber für den Rest seines Lebens verkrüppelt.

Ich bekam eine leise Ahnung davon, wie es sein mag, wenn man zum ersten Mal mitten in einem Gefecht steht. Wie aus dem Abenteuer innerhalb von Sekunden Tod und Elend werden.  Dann bekam ich eine leise Ahnung davon , wie es wohl sein müsste, wenn man Opfer des Krieges wird, wenn man verstümmelt zurück kehrt; wie man dabei aber noch immer froh sein mag, dass es andere noch schlimmer erwischt hat. Und schlußendlich bekam ich eine leise Ahnung davon, wie die Daheimgebliebenen die Rückkehrer empfangen.

Nur eine ganz leise Ahnung immer, wohlgemerkt, denn das wahre Ausmaß kann niemand fühlen. Jean Echenoz aber zeigt jenen, die bereit sind, sich in die Gefühlswelt jener Zeit zu begeben, einen Ausschnitt der brutalen Realität. Das macht er aber, ohne sie mit überbordenden Grausamkeiten auszuschmücken, er macht es mit einfachen Worten, manchmal beinahe so, als ob er von einem Sonntagsausflug in lauer Frühlingsluft erzählt.

Diese Spannung zwischen Leichtigkeit und Grausamkeit ist das prägende Element des Romanes.

Ein Roman über eine unverständliche Zeit für uns, die wir seit Jahrzehnten im Frieden leben; ein Roman für alle, die aus welchen Gründen auch immer daran arbeiten, den Frieden zu gefährden –  die aber denken sowieso niemals an einzelne Schicksale, wie zum Beispiel an solche, wie sie in „14“ beschrieben sind.




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