Bill Bryson: Sommer 1927
Autorin/Autor: Bryson, Bill
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Bill Brysons Geschichts- und Sachbücher sind auch/vor allem Abenteuerromane. So rasant, so witzig und unterhaltsam geschrieben, dass man dabei ganz vergisst, wie viel man darin erfährt und wieviel Arbeit in der Recherche stecken muss.
Ich freue mich deshalb immer, wenn ein neues Buch von Bill Bryson erscheint, denn das verspricht zuverlässig gute Unterhaltung und viel neues, überraschendes Wissen. Auch „Sommer 1927“ hat meiner Erwartung vollkommen entsprochen.
Im Fokus stehen die Monate Mai, Juni, Juli, August und September des Jahres 1927. In jedem dieser Monate ereignete sich in den USA etwas, das bis heute nachwirkt und in Erinnerung blieb; manches nur dort, manches auf der ganzen Welt.
Lindbergh flog als erster Mensch nonstop von New York über den Atlantik bis Paris und absolvierte für den Rest des Sommers eine von Millionen von Menschen besuchte Tournee durch die Vereinigten Staaten, die Presse stürzte sich auf einen gar nicht so spektakulären Mordprozess in New York, im Weissen Haus saß der wohl arbeitsscheueste US-Präsident aller Zeiten und der Mississippi überflutete eine Fläche nur wenig kleiner als Österreich. Der Fall Sacco und Vanzetti spaltete schon damals die öffentliche Meinung, vier Herren stellten (wenn auch unbewusst) die Weichen für den kommenden Börsecrash, die Arbeiten am 4-Präsidenten-Monument am Mount Rushmore begannen und Hollywood produzierte mit „The Jazzsinger“ den ersten richtigen Tonfilm.
Babe Ruth, eine amerikanische Baseball-Legende, stand im Rampenlicht (Aber leider: wer bisher keine Ahnung vom Baseball hatte, wird sich nach dem Lesen dieses Kapitels noch immer nicht auskennen, eher verwirrter sein als zuvor), Herbert Hoover machte sich unentbehrlich und ebnete sich damit den Weg ins Weisse Haus und Henry Ford verbreitete seinen Anitsemitismus über eine eigens dafür gekaufte Zeitschrift.
Das Jahr 1927 war auch ein Jahr, in dem sich im Hintergrund der Wirtschaftskollaps des Jahres 1929 mit seinem Börsencrash am Schwarzen Freitag entwickelte, in dem die großen Gangster wie Al Capone lebten. Eine Jahr, in dem sich Vergangenheit und Zukunft vielfach überschnitten.
Diese und eine Vielzahl weiterer Ereignisse verknüpft Bryson zu einer durchgehenden Geschichte. Meistens unglaublich witzig berichtet er, wie es zu alledem kam, zeigt dabei Verbindungen auf, die wohl niemandem sonst aufgefallen wären, zeigt, wie alles mit allem zusammenhängt. Neben den mit Augenzwinkern erzählten Begebenheiten finden sich auch erschreckende Einblicke in diese Zeit. Womit Bryson quasi gleichzeitig belegt, dass Grausamkeiten und dummer Fanatismus, also das, was auch wir täglich lesen und hören müssen, damals zum Alltag gehörten: Terroristen und fanatisierte Menschenmassen gab es damals genauso wie heute.
Darum herum schildert Bryson Epsioden aus dem alltäglichen Leben – und auch das sind durchwegs wahre Begebenheiten, Dinge, die man damals in den Zeitungen lesen konnte, Dinge, die die Massen begeisterten oder erschütterten. Angereichert mit unglaublich vielen Anekdoten zeichnet er ein wahrhaft plastisches Bild von Gesellschaft, Wirtschaft und von den einzelnen Menschen in diesem Sommer. Es fällt leicht, sich in diese Zeit hinein zu versetzen und zu verstehen, was heute noch sehr ähnlich und was heute so vollkommen anders ist.
Wenn Bryson dabei streckenweise allzuviele Details einarbeitet: kein Problem, man kann ein paar Seiten weiter blättern oder quer lesen und ist dann doch gleich wieder mitten drinnen im Geschehen.
Bestens unterhalten und überwältigt von dem vielen, neu gewonnenen Wissen, das ich zum größten Teil wohl nie wieder benötigen werde, warte ich schon ungeduldig auf Brysons nächstes Buch.