Patrick Modiano: Der Horizont
Autorin/Autor: Modiano, Patrick
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Dieses Buch machte es mir nicht leicht, darüber zu schreiben. Denn während das WAS (was geschieht, wer ist daran beteiligt) noch recht klar ist, grüble ich noch immer an dem WARUM: gibt es einen zusammenfassenden Gedanken, der über diesem Buch steht?
Zunächst näherte ich mich der gebotenen Ehrfurcht: ein Roman des Literatur-Nobelpreisträgers 2014, von dem ich zuvor noch nie etwas gelesen habe; und, ich muss es gestehen, von dem ich zuvor auch noch nie etwas gehört, bzw. über ihn gelesen habe.
Das Geschehen (von Handlung zu sprechen wäre übertrieben): Ein Mann mit den Namen Jean Bosmans lebt im Paris unserer Gegenwart. Seine eigenen Notizen, Begegnungen und Orte versetzen ihn in Gedanken immer wieder zurück in eine Zeit vor rund 40 Jahren, auf den Spuren von damals. Viele Eindrücke erinnern ihn an längst Vergangenes. Daran, wie er mit Margaret La C0z erstmals zusammentraf – was beinahe wörtlich zu verstehen ist, denn sie stießen am Rande einer Demonstration in einem Metro-Abgang zusammen – und was dem folgte.
Von diesem (Zeit)Punkt ausgehend sind es Erinnerungen an damals und Begebenheiten von heute, die sich abwechseln. Nicht nur Bosmans Erinnerungen, auch Margarets Erinnerungen. Wobei mir unklar blieb, ob sie Bosmans davon erzählt hatte oder ob Patrick Modiano hier quasi eine Erinnerungskette geschaffen hat: man erinnert sich an jemanden und in der Erinnerung an diese Person sind auch deren eigene Erinnerungen eingeschlossen … oder so.
Ein Mann aus Lausanne taucht da auf, Margaret war früher Gouvernante seiner beiden Kinden. Diese drei Arbeitskollegen Margarets, an die Bosmans sich so detailliert erinnert. Der Arzt, der Margaret später zur Betreuung seinen Sohnes engagiert. Bosmans Anwesenheit in Berlin. Der Wechsel von einem Ort/einer Zeit zu einem/einer anderen geschieht übergangslos, auf eine Abfolge wird verzichtet.
Nun ja, wie gesagt, nicht wenig bleibt diffus in diesem Buch. Dazu zählen auch die Bedrohungen, die Margaret und Bosmans fürchten. Sie wird von einem Mann verfolgt, gestalkt würde man wohl sagen, wäre das nicht vor 40 Jahren geschehen, und er trifft immer wieder auf seine Mutter, die ihm Geld abverlangt. Gänzlich unklar bleibt bis zum Schluß, welche Bedeutung dies für den Roman hat, noch mehr, ob beides überhaupt stattgefunden hat.
Modiano schreibt in Bildern, in seiner Sprache wirkt jedes einzelne Wort genau an den richtigen Platz gestellt, nirgends anders hätte es stehen dürfen. Erst im Überblick über ein ganzes Kapitel, den ganzen Roman wird aus dem klaren Sätzen ein verschwommenes Bild. So, als würde man bei der Kamera mit Absicht unscharf stellen; so weit, dass zum Gesamtverstehen wichtige Elemente nicht mehr erkennbar sind. Oder eben so wie Erinnerungen, die immer unschärfer werden. Zum Schluß dann doch ein beinahe klarer Blick.
Schön zu lesen, aber nichts, was ich unter Literatur mit bleibendem Wert einordnen würde.
Nach der Lektüre von „Der Horizont“ habe ich mich ein wenig umgesehen und herum gelesen. Weitgehend herrscht bei den Kommentaren und Besprechungen zu diesem Buch die Meinung vor, dass es nicht gerade zu den Meisterwerken Modianos zählt. Sein neuester Roman „Gräser der Nacht“, der in deutscher Übersetzung im November 2014 erschien, würde jedoch ganz klar belegen, dass Modiano den Literatur-Nobelpreis völlig zu Recht erhielt. (Besprechung dazu folgt demnächst)