Georges Simenon: Brief an meinen Richter
Autorin/Autor: Simenon, Georges
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Der Briefschreiber ist Dr. Charles Alavoine: Arzt, Mörder. Sein Prozess ist abgeschlossen, ein allzu wohlwollendes Gericht hat ihn nicht mit der Höchstrafe belegt, wohl aber zu vielen Jahren hinter Gittern.
Alavoine ist im Grunde ein simpler Mann, unbedeutend und uninspiriert. Einer, der jede Gelegenheit nützt, um von eigener Unzulänglichkeit ablenken und dafür gerne anderen Schwächen und Eigenschaften zuweist. Als Hausarzt hat er sich zwar einen gewissen sozialen Status in seiner Heimatstadt erarbeitet, so richtig angekommen in der Gesellschaft ist er jedoch nicht – was er bevorzugt darauf zurückführt, dass er der erste aus seiner Familie ist, der sich aus einfachen Verhältnissen herausgearbeitet hat.
Im Privaten bestimmen meist andere sein Leben. Seine Mutter, dann seine (zweite) Ehefrau. Bis zum jenem verhängnisvolölen Moment, als sich dieser unbedeutende Mann bei einer Geschäftsreise in eine Mitreisende verliebt – ihr Zusammentreffen auf dem Bahnsteig ist zufällig. Dabei ist es wohl weniger Liebe, wie er glaubt, sondern vielmehr erstmals seine Chance, das Leben eines anderen Menschen zu bestimmen.
Alavoine kann sich der auf ihn einstürmende Gefühle nicht erwehren, er wird zum Sklaven seiner eigenen, niedrigen Instinkte.
Der Brief ist an seinen Untersuchungsrichter gerichtet, von dem Alavoine meint, es gäbe ein spezielles Verhältnis zwischen ihnen, dieser wäre ein Mann, der wohl verstehen würde, warum er, Alavoine, so handeln musste.
Simeon schrieb einen Thriller, der sich aufbaut wie … ja, so wie Ravels Bolero. Erst leise – als Alavoine von seinem Werdegang schreibt – dann immer schneller zum Fortissmio anschwellend als Alavoine sich rechtfertigt, glaubt genau richtig gehandelt zu haben, glaubt, es wäre sogar eine gute Tat gewesen, seine Geliebte zu töten.
Fesselnde Spannung, ein Psychothriller der Extraklasse!