Jürgen Schreiber: Ein Verräter wie er
Autorin/Autor: Schreiber, Jürgen
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Was nicht sein darf, das ist nicht. Ein autoritäres Regime gerät immer dann in Bedrängnis, wenn seine Protagonisten das Gegenteil der Staatsideologie leben. In der DDR gab es ja bekanntlich keine Verbrechen (siehe auch: der Schwarze Kanal des lächerlichen SED-Propagandisten Karl-Eduard von Schnitzler) und die Stasi war das Rückgrad, die Stütze, von der aus sich die Überwachung bis in die entferntesten Winkel ausbreitete.
Das Schlimmste, was dem System passieren kann, ist, wenn ein Mitarbeiter eben dieser Stasi selbst zum Verbrecher wird. Das gilt es zu Vertuschen, das darf niemals an die Öffentlichkeit gelangen; das Bild des gefestigten Staates mit seinen vorbildlichen Repräsentanten muss um jeden Preis erhalten bleiben.
Der Fall des Stasi-Mannes
, der aus Habgier zwei seiner Mitarbeiter ermordete wurde damals in der Öffentlichkeit natürlich nicht bekannt. Erst der Journalist Jürgen Schreiber stieß im Zuge seiner Recherchen in den Archiven der DDR darauf – mehr als 9.000 Aktenseiten galt es daraufhin zu durchforsten um den Vorgang zu rekonstruieren.Im Grunde ist es ein Mordfall, wie er auf der Welt leider andauernd geschieht, keine nicht anderswo schon gelesenen Motive, keine nicht anderswo schon gehörten Vorgänge. Nur dass der Mörder ein gelobter Stasimann ist, macht daraus eine Besondernheit bis hin zum Geheimprozess.
Im Grunde trotz der 9.000 Aktenseiten aber ein wenig ergiebiger Stoff.
Um daraus ein ganzes Buch zu machen, ergänzt Jürgen Schreiber die Fakten um Hypothesen, Annahmen und sehr viel eigene Meinung. So ist zu lesen, wie ermittelnden Beamte, Täter, Opfer, Richter (möglicherweise) dachten, wie es ihnen (angeblich) erging. Über ihre Vorleben, ihre Herkunft, ihre Vorhaben und Neigungen ist zu lesen, ebenso wie über so unglaublich viel, was rundherum passierte oder passiert sein könnte.
Jürgen Schreiber erdichtet also einen sehr großen Teil dieses Buches, nimmt an und schmückt aus. Ich habe noch selten ein „Sach“-Buch mit so vielen Adjektiven, Nebensächlichkeiten und subjektiven Ausschmückungen gelesen. Das führt über weite Strecken zur faktischen Unlesbarkeit.
Verloren geht in diesem ganzen Wirbel, dass Jürgen Schreiber wohl nicht nur den Fall dokumentieren, sondern auch die Justiz der DDR an den Pranger stellen wollte, die sich nur wenig von der Justizausübung des Volksgerichthofes der Nazis unter Roland Freisler unterschied. So viel meine ich jedenfalls zwischen den Ausschmückungen gelesen zu haben.
Interessantes Thema, verwirrende Umsetzung.
PS: es mag so sein , dass ehemalige DDR-Bürger besser mit diesem Buch zurande kommen, wenn sie aus eigener Erfahrung wissen, wie dieser Staat funktionierte.