Brendan Simms: Die Briten und Europa
Tausend Jahre Konflikt und Kooperation
Autorin/Autor: Simms, Brendan
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Ein Geschichtsbuch, oft spannend zu lesen wie ein historischer Thriller: „Die Briten und Europa“ schlägt die Brücken zwischen den Ländern dies- und jenseits des Ärmelkanals und beschreibt eine gemeinsame Geschichte, die weit in die Vergangenheit zurück reicht.
Gerade jetzt bietet Großbritannien ein chaotisches Bild. Nachdem ein paar Populisten dem den Menschen erfolgreich einreden konnten, dass es ohne die EU weit besser dastehen würde, haben sich diese Typen bekanntermaßen umgehend aus der Verantwortung gestohlen. Zurück blieb eine Regierung, die ziel- und konzeptlos durch diese für Großbritannien so schwierige Zeit taumelt. Begleitet ist das von Berichten über die Sitzungen des britischen Unterhauses, die für unsere Begriffe als eine Mischung von Slapstick und Skurrilität ablaufen – quasi Monty Phython in der Politik.
Der Anlass, dieses Buch zu schreiben, ist der Brexit. Denn genau jetzt ist es Zeit, die Gemeinsamkeiten, die den Kontinent mit der Insel verbinden, aufzuzeigen; als Gegenpol zum gegenwärtigen Chaos, das definitiv einen gänzlich falschen Eindruck von den Briten liefert.
„Die Briten und Europa“ ist eine historische Chronik aus der Sicht der Briten. Ich fand es ausgesprochen interessant zu lesen – und erfuhr dabei ungemein viele neue, spannende Fakten – wie sich die gemeinsame Geschichte Europas und der Briten über die Jahrhunderte hinweg entwickelte. Dabei haben beide Seiten einander durchwegs gegenseitig beeinflusst, wobei Großbritannien aus der Sicht von Brenadan Simms immer eine besondere Rolle eingenommen hat.
Die Sicht von Brendan Simms ist dabei das Spezielle des Buches. Denn er ist selbst Ire und Professor an der Universität in Cambridge und kann daher aus seiner Perspektive uns Nicht-Briten einen Einblick darin geben, wie die Brite sich selbst sehen und wie sie ticken. Das weicht dann doch in vielen Punkten von unserer kontinentalen Sicht auf die Briten ab. Es ist sehr fundiert und ausführlich darüber zu lesen, wie das heutige Selbstverständnis der Briten auf ihrer weltpolitischen Rolle aufbaut, auf dem Stolz auf ihr parlamentarischen System und auf der Überzeugung, dass die Wirtschaftskraft Großbritanniens letztendlich jedem anderen Land Europas überlegen sei.
Ein wenig verwundert mich dabei, dass Simms sehr oft und vor allem auch sehr kritiklos militärische Intervention als legitimes Machtmittel und auch als Beweis für eine gegenwärtige Stärke des Landes sieht.
In dieser heutigen Sichtweise schwingt natürlich jede Menge Reminiszenz an die eigene Vergangenheit mit, doch letztendlich hat sich das heute so relative kleine Großbritannien doch weiterhin als Atommacht und mit einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat unter den globalen Mächten behaupten können.
Brendan Simms beschreibt die Politik des Landes in den vergangenen Jahrhunderten als eine sehr opportunistische. Im Fokus stand dabei immer der Schutz gegen eine Invasion aus Kontinentaleuropa. Daraus entwickelte sich eine „Sicherheitsdoktrin“ in deren Rahmen die Politiker die vorderste Verteidigungslinie nicht an der eigenen Küste zur Ostsee sondern – in wechselnder Konstellation – in den Niederlanden, in der Normadie oder am Rhein sahen und sehen.
Aus dieser Grundlage strebte Großbritannien über die Jahrhunderte immer wieder die passenden Koalitionen mit anderen Ländern an; letztendlich aber immer mit dem Ziel, diese Koalitionen für eigene Ziele zu nutzen, sich aber nicht allzu weit darin zu verstricken – Großbritannien versuchte über die Jahrhunderte hinweg, vorrangig von außen steuernd einzugreifen. Das gelang oft, aber sehr oft auch nicht, wenn man die vielen Kriege sieht, an denen den Briten auf dem Kontinent teilnahmen.
Für unsere Gegenwart haben die Briten natürlich eine besondere Bedeutung: sie waren es, die in den ersten Jahren des 2. Weltkrieges die als einzige in Europa übrig blieben, um Nazideutschland zu bekämpfen; und sie waren es, auf deren Boden die Invasion der Normandie vorbereitet und damit letztendlich die Niederlage der Nazis besiegelt wurde.
Ein wenig schwer fällt es mir, den Einschätzungen von Simms zu folgen, wenn er die gegenwärtige Lage und die zukünftigen Entwicklungen Großbritanniens bewertet. Dabei sehe ich dann etwas zu viel britischen Optimismus, denn Simms‘ Annahmen basieren auf allzuvielen Wenns und Abers.
Alles in allem ein wirklich sehr empfehlenswertes Buch, das hilft, die aktuelle Krise Großbritanniens und der Beziehungen zu Europa besser zu verstehen – aber auch Land und Leute selbst.
PS: das wohl einzig Positive, das von der gegenwärtigen Politiker-Generation in London in Erinnerung bleiben wird, sind die bühnenreifen Vorstellungen des House-of-Commos Speakers John Bercow und seine schon legendären „Oadaaaa, Oadaaaa“-Rufe zur Ordnung :-)
https://www.youtube.com/watch?v=H4v7wddN-Wg