Jiří Weil: Mendelssohn auf dem Dach
Autorin/Autor: Weil,Jiří
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Tschechien in den der ersten Hälfte der 1940er Jahre ist ein besetztes Land. Die Deutschen sind die neuen Herren und sie regieren das Land wie eine Kolonie, die den Deutschen, den Herrenmenschen, zu dienen hat, sie nennen es „Protektorat Böhmen und Mähren“. Überall wird ausgebeutet, geraubt, willkürlich gemordet, die Menschen werden wie Sklaven benutzt, sie sidn Sklaven. Überall herrscht die Angst, durch unbedachtes Handeln oder ein unbedachtes Wort der Willkür ausgeliefert zu sein.
Die Täter:
Überaus eindrucksvoll ist der Roman dort, wo Jiří Weil darüber schreibt, wie die Nazis – ob der Gestapo, der SS, dem Sicherheitsdienst oder irgendeiner anderen dieser Organisationen zugehörig – die Vertreibung der Juden, das Ausrauben ihrer Opfer und den Transport in die Vernichtungslager im Osten als immens wichtige Aufgabe betrachten. Wie sie es bürokratisch organisieren, wie sie überzeugt davon sind, vollkommen korrekt zu handeln, wie ihnen nie auch nur der leiseste Zweifel kommt. Wie sie alle elende Verbrecher sind und doch meinen, Menschen zu sein, die das Richtige und Notwendige tun.
Mit dem Blick in die Geisteswelt des Reinhard Heydrich fasst Jiří Weil alles das zusammen, was die Nazis, egal in welcher Position sie ihre Verbrechen begingen, ausmachte: die Überzeugung, besser zu sein, als die Untermenschen, die nur dazu lebten, um den Deutschen zu dienen; die Diskrepanz zwischen dem kalten Handeln, wenn Juden oder andere Gruppen ausgelöscht werden sollten auf der einen Seite und dem schon idyllisch zu bezeichnenden Familienleben und schließlich dem Selbstverständnis als Kunstkenner, der selbstverständlich einzuteilen wusste in gute, und in verkommene Kunst, sind doch die Deutschen die Träger und Erben einer Hochkultur und als solche dazu auserkoren.
Alles das verdichtet Jiří Weil noch weiter, wenn er das Attentat auf Heydrich beschreibt, wie der selbst im Todeskampf sein Selbstverständnis als Herrenmensch nicht ablegt.
Die Opfer:
Am Beispiel von Dr. Rabinowitsch, dem Historiker und Richard Reisinger, dem ehemaligen Eisenwarenhändler, wird das Schicksal der Juden in Tschechien unter der Naziherrschaft beschrieben. Einige wenige von ihnen konnten sich durch wichtige Arbeiten für die Deutschen über längere Zeit in Sicherheit wiegen und vielleicht sogar glauben, all dies zu überleben. Andere wurden von einem Ort zu nächsten verschickt und konnten immer wieder durch das Netz der Nazis rutschen. Die meisten aber wurden wie die Tiere eingesammelt, in Waggons verschickt und wurden nie wieder gesehen.
Wie in den anderen von den Deutschen besetzten Ländern, so gab es auch in Tschechien die einheimischen Kollaborateure, die sich für kleine persönlich Vorteile an die Nazis anbiederten; sie denunzierten ihre Nachbarn, sie lieferten die an die Mörder aus, mit denen sie jahrelang Tür an Tür gelebt hatten und machten sich wie die Geier über die Hinterlassenschaften her. Aber es gab auch hier die, die Verfolgte versteckten und unter Einsatz des eigenen Lebens durch die Kriegsjahre brachten.
Die Herrschaft der Verbrecher
Korruption und Verrat: Jiří Weil schrieb einen sehr klaren und erschütternden Roman über die Jahre Tschechiens unter der Naziherrschaft. Hier bleibt nichts undeutlich, alles steht hier, was man wissen muss über die Verbrechen und den Horror dieser Zeit.
„Mendelssohn auf dem Dach“ beginnt als Satire, wenn ein paar kleine Nazischergen daran scheitern, einen Befehl Heydrichs auszuführen und wenn sie auf alle möglichen Ideen kommen, um nur ja nicht von ihrem Scheitern berichten zu müssen. Das ist aber nur die Einleitung zu einem Roman, der dann rein gar nichts mehr mit Satire zu tun hat. Er handelt von Unmenschlichkeit und Angst, von Brutalität und Hoffnungslosigkeit.
Der Roman erschien im Jahr 1960, ein Jahr nach Jiří Weils Tod; er erschien zu einer Zeit, als das ganze Ausmaß des Naziregimes noch immer nicht zur Gänze überblickt werden konnte, als das Bewusstsein darüber in der breiten Öffentlichkeit noch immer nicht angelangt war und zu einer Zeit, als tausende, zehntausende der Naziverbrecher noch mitten unter uns lebten. Doch die allermeisten von denen konnten auch weiterhin beruhigt sein; denn Bücher wie dieses und viele andere, Enthüllungen und Erkenntnisse vermochten es nicht, die Gesellschaft (die Politik, die Justiz) dazu zu veranlassen, alle diese Verbrecher vor Gericht zu bringen.
Man solle doch die Vergangenheit ruhen lassen; so hörte man es damals und so hört man es heute noch immer. Damals hörte man es von den Altnazis, heute, weil die meisten von denen nicht mehr leben, von den neuen: die Nazis unserer Zeit können sich beinahe ungestört wieder ausbreiten; sie kommen aus ihren Kellern und treten immer ungenierter auf.
Deshalb darf man nie aufhören davon berichten, wie es damals wirklich war, man kann nie oft genug darüber aufklären, was diese Zeit an unvorstellbarem Grauen brachte; man kann nie oft genug darauf hinweisen, dass die heutigen geistigen Erben der Nazis niemals den demokratischen und moralischen Rahmen abzeptieren werden, in dem wir heute leben.
PS: Wer also diesen Leuten, diesen ideologischen Erben der Nazis, bei Wahlen seine Stimme gibt – und sei es nur aus einem unbestimmten Gefühl des Protestes heraus – muss sich bewusst sein, dass er damit den Geist einer längst überwunden geglaubten Zeit beschwört und deren Gewalt billigend in Kauf nimmt.