Don Winslow: Jahre des Jägers
Autorin/Autor: Winslow, Don
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Viele Brennpunkte bilden das Grundgerüst dieses Thrillers. Jedes dieser Kapitel ist voller Grauen und Realismus, brutal und erschreckend in seiner Nähe zur Wahrheit; in der Summe ergeben sie das Bild eines gescheiterten Staates und eines gescheiterten Kampfes gegen die Drogen.
Nach dem gewaltsamen Tod von Adan Barrera, dem ehemaligen Boss des Sinaloa-Kartells, eskalieren bald die Kämpfe der Familien und Clans um die Vorherrschaft. Auch wenn die Einzelheiten dazu der Phantasie von Don Winslow entspringen, so sind sie doch ein Abbild der Realität, bis hin zu in die Handlung eingebundenen wahren Begebenheiten.
Don Winslow lässt dabei keinen Aspekt dieser zügellosen Gewalt aus, er zwingt uns zu lesen, was wirklich jeden Tag geschieht; zu lesen, wie es seit Jahren und Jahrzehnten nicht möglich war, die kriminellen Strukturen zu zerstören, wie diese im Gegenteil immer weiter in die Zivilgesellschaft, in die Politik und in die Institutionen des Staates vorzudringen und mit der Macht des Geldes alles übernehmen und korrumpieren.
Mexiko jedenfalls ist ein Staat voller Korruption, Gewalt, fast niemand in diesem Land kann sich der Macht und dem Einfluss der Kartelle entziehen. Es scheint keine Perspektive zu geben, kein Zukunftsszenario, in dem man sich vorstellen kann, dass diese Entwicklung jemals wieder umgekehrt werden könnte.
Auf der anderen Seite stehen die Behörden, die in den USA die Drogenkriminalität bekämpfen sollen. Art Keller hat es, nach Jahrzehnten des Kampfes gegen die Kartelle an vorderster Front, an die Spitze der DEA geschafft, wo er nun versucht, den ewigen Kreislauf zu durchbrechen: den Kreislauf in dem man einen der Bosse beseitigt und ein neuer nachkommt und sich jedes Mal die Spirale der Gewalt schneller dreht.
Es ist zu Beginn nicht einfach, den Überblick zu gewinnen und dann zu behalten: die schiere Menge an Namen, an Ereignissen, an Verbindungen, die das Buch zum einem Umfang von fast 1.000 Seiten aufblähen. Mit jedem Kapitel tauchen neue Personen auf, treten neue Mitspieler auf, die (vielleicht) irgendwann in einem späteren Kapitel wieder eine Rolle spielen. Allen gibt Winslow einen Lebenslauf mit, von allen erfahren wir, wie es dazu kam, dass sie nun hier stehen – und von den meisten erfahren wir auch, wie sie ums Leben kommen.
Der Bezug zur aktuellen US-Regierung
Eine ganz neue Dimension, die es in den beiden ersten Roman nicht gab, eröffnet sich mit den Präsidentschaftskandidaten John Dennison und seinem Schwiegersohn Jason Lerner.
Der Roman spielt in den Jahren 2012 bis 2018, ab dem Jahr 2015 beginnt der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl 2016 und damit der Auftritt eines großspurigen und charakterlosen Mannes: John Dennison. Es hätte nicht der beinahe wörtlichen Zitate aus Donald Trumps Twitteraccount bedurft, um in Dennison den gegenwärtigen Präsidenten der USA zu erkennen. Winslow übernimmt diese Zitate und macht aus dem offensichtlichen Gegensatz von Dennisons dummen und dreisten Lügen zur Realität eine Abrechnung mit jenem Mann, der seit dem Jahr 2016 als Fake-Präsident im Weißen Haus sitzt.
War Winslow in den beiden ersten Büchern der Trilogie schon ungemein politisch damit, wie er schonungslos aufzeigte, wie die Drogenkartelle die staatlichen Institutinen durchdrungen haben, so klagt er in diesem dritten Buch auch ganz klar und offen den Herrn Trump an, mit seinen plumpen Aussagen und seinem irrationalen Handeln, mit seinen Lügen und seiner Aggression, alles noch mutwillig zu verschlimmern. Dennison und Lerner (bzw. Trump und Kushner) agieren so, wie alle Rechtspopulisten der Welt agieren (siehe zB. auch Strache auf Ibizia und ganz aktuell Salvini und das russische Öl): zum eigenen Nutzen und zum Missbrauch der Macht.
In diesem Roman führt dies zu Korruption bis in den engsten Kreis rund um den Präsidenten und zum Einfluß der Drogenkartelle auf die Berater des Präsidenten – und somit bis hinein ins Oval Office. Was mag davon wohl an die Wahrheit angelehnt sein?
Wieviel Wirklichkeit steckt in diesem Roman?
„Jahre des Jägers“ ist der Abschluss der Trilogie mit Art Keller und es ist das Buch, das mit Abstand das realste Bild der Wirklichkeit zeichnet. Die Beschreibung des Lebens der Menschen in Mexiko und in vielen anderen mittelamerikanischen Staaten, die Ausweglosigkeit und die Hoffnungslosigkeit, dem Kreislauf der Gewalt zu entrinnen – alles das ist wirklich erschreckend.
Dabei muss Winslow gar keine grausigen oder blutigen Details beschreiben, er überlässt es unseren eigenen Gedanken, das zu vervollständigen, was er in knappen Worten schildert; und das macht alles noch brutaler, noch unglaublicher, noch erschreckender.
Indem Winslow auch tatsächlich stattgefundende Begebenheiten in seinen Roman einbaut, gibt er diesem noch mehr Glaubwürdigkeit; bis dorthin, wo es beklemmend wird, wo man beginnt zu erkennen, das Winslow sehr wohl die Wirklichkeit (jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt) beschrieben hat.
In der Summe aller drei Romane Tage der Toten, Das Kartell und Jahre des Jägers hat Winslow einen epochalen Handlungsbogen entwickelt, der sich mit Mario Puzos „Der Pate“ messen kann.
Ein schonungsloses Abbild der Gesellschaft, der kriminellen Strukturen und davon, wie die Korruption alles durchdringt. Eine Abrechnung auch mit dem politischen System in den USA, dessen Repräsentanten (vor allem auf der Seite der Republikaner) schon lange nicht mehr für die Menschen arbeiten, die sie gewählt haben, sondern nur mehr für eigene Interessen und persönlichen Vorteil.
Ein Thriller, der atemlos macht!