Buchbesprechung/Rezension:

Eugen Ruge: Metropol

Eugen Ruge: Metropol
verfasst am 03.11.2019 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Ruge, Eugen
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In den 1930er-Jahren geriet Europa immer mehr unter den Einfluß von Gewaltherrschern: Hitler, Mussolini, Franco, Stalin und die ganze Reihe von Diktatoren in den kleineren Ländern Mittel- und Osteuropas. Doch gleichgültig, ob diese Herrschaft nun unter dem Namen Faschismus, Nationalsozialismus oder Kommunismus ausgeübt wurde: das Ergebnis war für die Menschen in den betroffenen Ländern immer gleich dramatisch.

Unterdrückung, Folter, Propaganda, Korruption; Spitzel lauschen bis in die privaten Räume, selbst innerhalb der eigenen Familie kann man verraten werden. Über das eigene Schicksal bestimmten zuletzt immer andere, niemand, in welcher gesellschaftlichen oder politischen Position auch immer, konnte sich seiner Zukunft wirklich sicher sein.

Ein spezielle Stellung unter diesen vielen Millionen Menschen nahmen die deutschen Kommunisten ein, die vor den Nazis in die Sowjetunion geflüchtet waren. Denn sie erwarteten, nun in Sicherheit zu sein, wurden aber nun anstatt von SA und Gestapo nun von deren sowjetischen Gegenstücken überwacht, verhaftet, verhört und beseitigt.

Eugen Ruge berichtet am Beispiel seiner Großmutter, in welcher absurden Lage sich die Flüchtlinge, aber auch viele russische Funktionäre der KPdSU und Kommunisten aus anderen Ländern, in Stalins Reich befanden. In den 1930er-Jahren hatte sich Stalins Macht so sehr gefestigt, dass er seine Paranoia ungehindert ausleben konnte. Stalin wurde gemeinsam mit Hitler und Mao zu einem der größten Massenmörder, den die Welt bislang gesehen hatte; und eine große Zahl seiner Opfer waren gerade diejenigen, die „an ihn glaubten“ und die sich ihm blindlings verschrieben hatten.

Es ist die Zeit der Schauprozesse, als Menschen willkürlich des Verrates angeklagt wurden und abgeurteilt wurden – meistens wurde ein Todesurteil verhängt.

„Metropol“ erzählt von der Gemeinschaft der im Hotel Metropol in Moskau untergebrachten Kommunisten, die dort unfreiwillig einquartiert wurden: jeder und jede von ihnen konnte zu jedem Zeitpunkt von der Geheimpolizei abgeholt werden. Dann ist wieder eines der Zimmer im Metropol mit einem Siegel der Geheimpolizei verschlossen, dann ist wieder eine oder einer von ihnen verschwunden. Etwas, das sich Tag für Tag wiederholt.

George Orwell nahm sich genau solche Vorgänge zum Vorbild für seinen Roman „1984“. Eugen Ruge wiederum entwickelt aus diesen Vorgängen einen Roman über Verrat und verhängnisvolle Freundschaften, über Machtlosigkeit und Machtmissbrauch. Wie auch unten den Menschen in Nazi-Deutschland, so sind auch unter den Kommunisten in der Sowjetunion viele, die glauben, man müsste den Führer bzw. obersten Genossen nur über die Zustände informieren, dann würde diesen schädlichen Umtrieben schon ein Ende bereitet werden.

Doch Ruges Roman ist mehr: er ist ein historisches Dokument über verbrecherische Zeiten und über Menschen, die von Ideologie verblendet, nicht mehr in der Lage sind, die Realität zu sehen. Alles, was man selbst tut und spricht und denkt wird hinterfragt, nichts, was von Stalin kommt, wird in jemals Frage gestellt. Die Originale von Briefen, die im Buch abgedruckt sind, zeigen in schon erschreckend zu bezeichnender Weise, wie ahnungslos bzw. wie blind die (Partei)genossen den wirklichen Vorgängen gegenüber standen.

Charlotte Germaine, Ruges Großmutter, ist die Hauptperson des Romanes. Vor dem Hintergrund der Schauprozesse, in denen ab 1937 tausende angebliche Gegner Stalins des Verrates angeklagt und zum Tode verurteilt oder in Lager verbannt wurden, wandelt sich ihr beinahe kindlich zu bezeichnender Enthusiasmus allmählich in einen klareren Blick auf wie wirklichen Zustände in der Sowjetunion. Die alltäglichen Jubelmeldungen über den angeblichen Erfolg des Systems und der Fünfjahrespläne, während die Schlangen vor den Geschäften länger werden; die angeblichen Enthüllungen über die Verbrechen, die davor hoch angesehene Parteigenossen begangen haben sollen, die offensichtlichen Widersprüche in den Schauprozessen, das schrittweise Verschwinden der ehemaligen Mitstreiter aus Deutschland, die vom Geheimdienst verhaftet werden.

Schnörkellos beschreibt Ruge die Ängste der Emigranten, wie sie immer wieder für sich rekapitulieren, ob sie an irgendeiner Stelle mit irgendjemandem vielleicht ein unbedachtes Wort gewechselt hatten, ob sie mit einer zwischenzeitlich in Ungnade gefallenen Person vielleicht doch einen zu engen Kontakt gepflegt hatten. Und immer wieder dieses „… wenn das Stalin wüsste …“, quasi zur Rechtfertigung des eigenen anhaltenen Glaubens an den Kommunismus als die wahre und einzig wahre Ideologie.

Historische Ereignisse und viele Namen von Menschen, die zu Opfern der Säuberungen wurden, bilden das reale Gerüst dieses Romanes.  Die ungeheuren Verbrechen des Josef Stalin sind Fakten, die niemand bezweifelt; und doch gibt es auch heute noch viele Leute, die diesen Mann verehren – aber bei Hitler, Mussolini, Franco und Mao ist es auch nicht anders, Unbelehrbare und Ewig-Gestrige, die sich „einen starken Mann“ wünschen, finden sich überall.

Ein wirklich großartiger Roman, der sich liest wie ein Thriller, doch nur das erzählt, was wirklich stattgefunden hat.




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