Paolo Cognetti: Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen
Autorin/Autor: Cognetti, Paolo
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Unterwegs in Nepal: eine Reise in die weit abgelegene Region Doplo, die großteils höher liegt als alles, was wir in Europa erreichen können, an die eigenen körperlichen Grenzen und in die eigenen Gedanken; eine Wanderung über hohe Pässe, im Schatten legendärer Gipfel, aber niemals bis ganz hinauf.
Paolo Cognetti hat ein Buch im Gepäck: Auf der Spur des Schneeleoparden von Peter Matthiessen, das dieser als Bericht über seine eigene Reise hierher im Jahr 1978 schrieb. Dieses Buch inspirierte Cognetti zu seiner eigenen Reise, die er anlässlich seines 40. Geburtstages mit seinen Wegbegleitern und dem Tross von Trägern, Köchen und Maultieren in Angriff nahm.
Es ist eine Reise in eine Region, die eine ganz andere Atmosphäre verbreitet, als die hochliegenden Regionen, die wir in unseren Alpen kennen. Alleine schon im Vergleich der Schilderungen in Matthiessens Buch und Cognettis eigenen Eindrücken erkennt man einen dieser Unterschiede: wenn sich in den 40 Jahren, seit Matthiessen hier war, so wenig merkbar geändert hat, wenn Steine noch am selben Platz liegen, wie damals, dann weiß man, wie wenig Bedeutung die Zeit hier hat (So etwas wird man bei uns auch in den Bergen nicht mehr oft erleben, denn auch hier schaffen Eingriffe durch Menschen Jahr für Jahr neue Verhältnisse).
Aus dem Wandern wird so etwas wie ein unbewusstes Setzen von Schritt nach Schritt, wenn man immer tiefer in sich selbst ruht, wenn man diese unbeschreibliche Landschaft in sich hineinwirken lässt.
Es reihen sich Einblicke in die Gefühlswelt an Beschreibungen der Landschaft an Geschichten über Begegnungen mit Menschen, Tieren und Pflanzen. Alles lädt dazu ein, sich der Reise anzuschließen, selbst die Mühsal, die die Höhenlage mit sich bringt, schreckt nicht ab. Immer mehr wird die Erzählung zu einer Beschreibung darüber, wie man es selbst als in der westlichen Zivilisation aufgewachsener und geprägter Mensch schaffen kann, Abstand zu gewinnen und sich ganz auf die Ursprünglichkeit dieser Welt einzulassen; und welche großartige und wegweisende Erfahrungen man dabei machen kann. Zwangsläufig ergibt sich die Erkenntnis, wie wenig die Menschen doch brauchen, um Glück zu erfahren und Freude am Leben zu haben.
Was mich an diesem schmalen, aber doch so umfangreichen Buch besonders fasziniert: es sind oft sehr ähnliche Gedankengänge wie jene, die auch mich selbst beschäftigen, wenn ich mit meinen Hunden in den Bergen unterwegs bin. Ja natürlich, die Alpen in Österreich lassen sich weder mit Nepal noch mit dem Himalaya vergleichen, aber auch hier gibt es – man muss sie nur suchen – einsame Wege, abseits des Massentourismus, die auch diese Stille, diese Weite und das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein, vermitteln. (wobei: Die kürzlich zu sehenden Fotos vom Mount Everest Gipfel mit der endlosen Karawane aus Bergsteigern zeugen ja auch von Massentourismus). Und wenn man in unseren einsamen Alpentälern dann und wann doch auf Einheimische trifft, dann ergibt sich oft auch bei uns eine ähnliche Sprachbarriere wie mit den Menschen Nepals :-)
So kann ich Cognettis Gefühlswelt, so wie er sie erzählt, mehr als gut verstehen; Stunden und Tage abseits von Reizüberflutung, nur mit dem unterwegs, was man selbst zu tragen vermag, nur mit eigener Energie – das eröffnet immer wieder neue Einblicke in sich selbst und hilft, unnötigen Ballast abzuwerfen.
Am Ende der Reise kann ich Cognettis Wehmut spüren, nun, da dieser eine Monat der ganz speziellen Erfahrung vorüber ist. Oder es ist einfach nur mein eigenes Gefühl der Traurigkeit, weil der kleine Hund, der die Karawane lange begleitet hatte und zum Freund geworden war, von einem Moment auf den anderen verschwand …
Eine BBC-Dokumentation aus den 1960er-Jahren