Buchbesprechung/Rezension:

Stefan Slupetzky: Im Netz des Lemming

Stefan Slupetzky: Im Netz des Lemming
verfasst am 16.01.2020 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Slupetzky, Stefan
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Eine schon unheimlich wirkende Gleichzeitigkeit: Anfang des Jahres 2020 erscheint dieser neue Lemming-Roman, in dem das Thema Cybermobbing der Auslöser für schreckliche Ereignisse ist; und zur selben Zeit starten widerliche Rassisten und Chauvinisten, tatkräftig in den „sozialen“ Medien unterstützt von Repräsentanten der sog. „Freiheitlichen“ Partei Österreichs, eine rassistische und frauenfeindliche Kampagne gegen die neu ernannte Justizministerin Alma Zadic.

Im Roman ist es ein Junge von 11 Jahren, der wegen seiner körperlichen Verunstaltung in der Schule gemobbt wird und der nun feigen Bösartigkeiten im Internet ausgesetzt ist. Der kleine Mario hat nicht die Kraft, dies zu ertragen und stürzt sich direkt vor Lemmings Augen auf die Gleise der U-Bahn.

Im Laufe der nächsten Kapitel beschreibt  Stefan Slupetzky sehr realistisch die allzu bekannte Kumpanei aus Falschmeldungen der Boulevard- und Rechtsaussen-„medien“ mit den geifernden Postern und Trollen, die in den Kommentaren ihr Gift und ihre Lügen in die Welt sprühen; alles unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Die Hilfslosigkeit der Opfer solcher Kampagnen ist in diesen Abschnitten beinahe körperlich spürbar.

Lemming und Polivka geraten in einen ungeahnten Shitstorm, der ihre Existenz bedroht. Beide werden das Ziel von Verleumdungen, die aus der Anonymität des Internets und versteckt hinter der Pressefreiheit verbreitet werden: man nennt sie Kinderschänder, korrupter Polizist, postet heimlich aufgenommene Fotos – wie soll man sich dagegen zur Wehr setzen?

Der Lemming verliert seinen Job, nachdem ihn ein Schmierblatt als Pädophilen bezeichnet hat und Polivka kündigt bei der Polizei, nachdem man ihn beschuldigt, den Lemming nur wegen der Freundschaft laufen zu lassen. Da die beiden nun gewissermaßen freigestellt sind, machen sie sich gemeinsam auf die Suche nach dem, der im Hintergrund die Fäden zieht.

„Im Netz des Lemming“ ist ein Roman voller Intensität über die immer weiter um sich greifende Aggression gegen alles und alle, die anders sind, egal ob in Aussehen, Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Ansichten. Über die Politiker aus den Reihen der Rechtspopulisten, über Medien, die mit reisserischen Schlagzeilen Stimmung machen, über Trollfabriken, die aus dem In- und  Ausland das Internet mit Lügen überschwemmen, über dumme und engstirnige Leute, die alle zusammen schon viel zu lange den öffentlichen Diskurs dominieren.

Stefan Slupetzky belässt es dabei nicht bei einer schonungslosen Anklage der verwahrlosten Kommunikationsformen im Internet. Er lässt überhaupt kaum ein gutes Haar an den Vertretern aller politischen Parteien des Landes – womit er ja nicht Unrecht hat: die letzten Jahren haben unsere Gesellschaft nicht nach vorne gebracht und die PolitikerInnen tragen daran allesamt einen gehörigen Teil der Schuld.

Entstanden rund um „Ibizia“ hat Slupetzky weniger einen Krimi, als vielmehr eine Abrechnung mit den gesellschaftlichen und moralischen Misständen verfasst. Es finden sich darin sehr viel österreich-spezifische Verweise, die LeserInnen anderer Länder vielleicht nicht geläufig sind. Für uns Österreicherinnen und Österreicher gibt es aber eine umfangreiche Bestandaufnahme all dessen zu lesen, was man zum Thema Korruption und demokratiegefährdender Vorgänge in den letzten Jahren in unserem Land miterleben musste.

Ich brauchte wirkliche einige Zeit, um mich nach dem Ende des Buches wieder zu beruhigen; doch diese Aufregung lohnt sich: man sollte diesen Roman unbedingt lesen, denn er kann durchaus den eigenen Umgang mit all diesen falschen Entwicklungen beeinflussen.

PS: Bei all der Charakterlosigkeit, die sich im Netz in den letzten Jahren verbreitet hat: ich glaube, dass es der zivilisierten Mehrheit der Menschen jetzt endlich zu viel geworden ist; langsam macht sich ein immer breiterer Widerstand gegen die Wellen von Lügen und Hasstiraden und Verleumdungen im Internet bemerkbar. Ich habe für mich beschlossen, noch konsequenter Stellung zu beziehen und, wo immer es geht, solchen Ekzessen entgegen zu treten; je mehr Leute das auch tun, desto besser.

PPS: Die neuesten Entwicklungen in Österreich sind in diesem Roman naturgemäß nicht verarbeitet; mit dem Eintritt der Grünen zu Beginn des Jahres 2020 in die Regierung besteht aber nun wieder die Hoffnung auf eine Wende hin zu menschenwürdigerer Politik und Kommunikation.




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