Buchbesprechung/Rezension:

Markus Thiele: Echo des Schweigens

Markus Thiele: Echo des Schweigens
verfasst am 11.03.2020 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Thiele, Markus
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Der reale Hintergrund dieses Romanes ist der gewaltsame Tod eines Flüchtlings in einem Polizeiarrest – Oury Jalloh aus Sierra Leone verbrannte im Jänner 2005 in einer Zelle im Polizeiarrest in Dessau. Die Umstände seines Todes wurden bis heute nicht endgültig gerichtlich geklärt.

In „Echo des Schweigens“ vertritt der Anwalt Hannes Jansen den Kriminaloberkommissar Maik Winkler, der in einem ersten Prozess vom Vorwurf freigesprochen worden war, den Asylwerber ermordet zu haben. Nach einem neuen Gutachten muss der Polizist wegen neuer Beweise nun nochmals vor Gericht. Gleich zu Prozessbeginn erfährt Jansen, dass dieses Gutachten von Sophie Tauber erstellt wurde – ausgerechnet jener Frau, die er vor wenigen Wochen kennen lernte; zwischen den beiden bahnt sich gerade eine tiefe Beziehung an, die beiden empfinden große Zuneigung füreinander. Bis zum Prozess wussten sie aber nicht, dass auch der Partner mit diesem Fall zu tun hat.

Zwei Geschehen, die ineinander greifen: der Prozess, in dem es beinahe unmöglich zu sein scheint, ein Urteil über Winkler zu sprechen, das auf unwiderlegbaren Fakten basiert. Und die Krise in der Beziehung zwischen Hannes und Sophie, deren Beziehung in Frage steht.

Es ist jedoch viel mehr, was Markus Thiele in seinem Roman an krisenhaften Momenten, an Augenblicken, in denen es um Leben und Tod, um Recht und Gerechtigkeit geht, miteinander verknüpft.

Der eine Handlungsstrang dreht sich um den Prozess und die Beziehung von Hannes und Sophie. Unerwartete Wendungen machen daraus ein spannendes Gerichtsdrama, das ein wenig an angloamerikanische Pendants erinnert, mit dem Duell zwischen Verteidiger und Staatsanwaltschaft, der Beweiswürdigung, dem Auftauchen neuer Hinweise, der Glaubwürdigkeit von Zeugen. Hannes Jansen wird durch die Umstände in einen Gewissenskonflikt getrieben: ist er zuerst Verteidiger, der um jeden Preis seinen Mandanten frei bekommen muss oder ist er zuerst ein Mensch mit Empfinden für Gerechtigkeit? 

Der andere Handlungsstrang hat die Familiengeschichte von Sophie Tauber zum Inhalt. Leo, ihre Großmutter, war Jüdin. In den Terrorjahren in Nazideutschland war ihr die Flucht vor den Nazis nicht mehr gelungen. Während Freunde und Verwandte um sie herum verschwanden, während ihre eigene Mutter in der Schweiz in Sicherheit war, musste sie sich in Braunschweig verstecken, zugleich auch immer bedroht von den Bombenangriffen der Alliierten. Lea brachte im Jahr 1941 eine Tochter zur Welt: Milla, Sophies Mutter. Der Vater dieses Mädchens war ein deutscher Unternehmer, der während des Krieges alles unternahm, Lea und deren überlebende Verwandte zu unterstützten und zu schützen.

Mit einer Mischung aus historischem Roman, Familienroman und Gerichtsdrama (wenn auch das zwar der thematische Aufhänger, aber nur der geringere Teil des Buches  ist) gelingt Markus Thiele ein in vielen Aspekten immens packender Roman. Er schreibt von einer Verbindung zwischen den Ereignissen in den 1940er-Jahren und dem, was in der Gegenwart geschieht; spannend und unvorhersehbar.

Persönliche Verantwortung, die sich auch nicht durch von außen bestimmte, allgemeinere Interesssen oder Vorgaben, verleugnen lässt, ist das zentrale Thema – damals so wie heute. Mit einer auf Tatsachen basierenden fiktiven Handlung schrieb Thiele ein tief gehendes Buch mit einer eindeutigen Botschaft: eigene Moral ist die zeitlose Instanz für Menschlichkeit und menschenwürdiges Handeln; die Verantwortung dafür kann man niemals an andere delegieren.

Was für ein Irrsinn, dass man das auch noch Jahrzehnte nach Holocaust und Rassenwahn noch immer (und immer wieder) in Erinnerung rufen muss, weil die Unmoral und die Charakterlosigkeit wieder an Bedeutung gewinnen.

Der Fall Oury Jalloh:
www.spiegel.de
de.wikipedia.org




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