Buchbesprechung/Rezension:

Brendan Simms: Hitler. Eine globale Biographie

Brendan Simms Hitler Eine globale Biographie
verfasst am 08.04.2020 | 2 Kommentare

Autorin/Autor: Simms, Brendan
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Der inhaltliche Fokus dieser Biografie ist mit diesem Absatz (Einleitung, S. 15), umfassend vorgegeben: „Es handelt nicht von dem Hitler, den sie (die Deutschen) gewählt, sondern dem, den sie bekommen haben. Es handelt nicht von dem was er „erreichte“, sondern von dem, was er „beabsichtigte.“

Dem zufolge sind die Reden, Monologe und Schriften Hitlers einige der zentralen Themen dieses Buches; denn darin war alles zu hören und zu lesen, was Hitler beabsichtigte. Die wahnhafte Fixierung Hitlers auf von ihm ausgemachte Feindthemen zieht sich durch alles, was an Dokumenten erhalten ist. Ob der Rassenwahn oder seine Obsession, aus Deutschland eine Weltmacht nach dem Vorbild der USA zu machen, um nur zwei der Themen zu nenne, die am Ende die dramatischten Auswirkungen hatten.

Eine Biographie Hitlers ist auch eine Geschichte der NSDAP und eine Geschichte Deutschlands von 1933-1945. Da noch immer Archive geöffnet werden und es so viele Quellen gibt, ist jedes wissenschaftlich basierte Buch über Hitler auch eines mit neuen Fakten und neuen Bewertungen, die sich daraus ergeben. Wenn nun ein Historiker wie Brendan Simms in wissenschaftlicher Form an das Thema heran geht, dann ergibt sich dabei – für mich zwangsläufig – ein ganz grundsätzliches Problem. In rein historischer Betrachtung wird vieles von dem, was Hitler tat und was ihn antrieb, wenn es denn sachlich aufbereitet wird, nur schwer den ganzen Wahnsinn und die ganze Ungeheuerlichkeit dieses Mannes widerspiegeln. Simms bemüht sich zwar immer, die Abscheulichkeit all dessen zu betonen, aber manchmal gelingt das nicht und dann erscheint Hitler, mit extremen Ansichten zwar, aber doch wie ein mehr oder weniger normaler Politiker.

Es kann nicht ausbleiben, das hier so detailliert beschriebene Agieren des Jahrhundertverbrechers dem gegenüber zu stellen, was in den vergangenenen Jahren auf der Welt passierte. Und dabei wird man sehen, wie sehr sich doch die Vorhaben und die Ansichten Hitlers mit jenen vieler Rechtsnationalisten heutzutage vergleichen lassen bzw. wie diese ganz oder teilweise auf dem Boden von Hitlers Ideologie stehen. Ob es die Reden des Bernd Höcke, dem Nazi in den Reihen der AFD sind; oder die gegen den Rechtsstaat gerichteten Aktionen des ehemaligen FPÖ-Innenministers Kickl sind,  oder die schon weit gediehene Gleichschaltung der Medien und die Ausschaltugn des Parlaments in Viktor Orbans Ungarn … auch wenn natürlich keiner von denen das Programm Hitlers (bis jetzt) umsetzten konnte – so kann man in diesem Buch eine ganze Menge darüber nachlesen, was beinahe ein Jahrhundert später noch immer/schon wieder auf der der Agenda der Rechtsnationalisten steht.

Unter den vielen Fakten, die Brendan Simms zusammen fasst, fand ich diese eine besonders bedrohlich – auch in Hinblick auf mögliche Wiederholungen in der Gegenwart : wie schnell es Hitler nach seiner Ernennung zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 gelang, den Rechtsstaat und die Demokratie zu beseitigen. Nur 5,6 Wochen war nötig, um aus der Weimarer Republik einen gleichgeschalteten, dicht mit Hakenkreuzen beflaggten Staat zu machen. Parteien, Gewerkschaften, Medien, Kultur: man muß es schon als „blitzartig“ bezeichnen, wie alles verschwand, was nicht in die Ideologie der Nazis passte; und wie schnell aus der überwiegenden Mehrheit der vormals normalen Bürger (die zu keinem Zeitpunkt Hitler eine absolute Mehrheit im Parlament gegeben hatten) fanatische Antisemiten und glühende Hitler-Anhänger wurden.

Zwischen Zaudern und Handeln

Was zwangsläufig fehlen muss und was man auch niemals wird nachvollziehen können, das ist eine genaue Chronik des Weges, den dieser zuvor unauffällige Mensch beschritt, um zum Extremisten und größenwahnsinnigen Massenmörder zu werden. So sehr Brendan Simms seine Quellen, darunter auch Hitlers „Mein Kampf“ oder sehr oft Goebbels Tagebücher bemüht, auch er kann es nicht an einem bestimmten Zeitpunkt bzw. einem bestimmten Ereignis festmachen. Hitler entwickelte sich durch äußere Einflüsse und wohl vor allem durch eigene Gedanken zunächst langsam, dann immer schneller zu dem Mann, der die Welt in eine ungeheure Katastophe trieb. Sein „Erfolg“ ist natürlich zu einem sehr großen Teil der Zeit und dem Zeitgeist zu verdanken, die im Nachklang der untergegangenen Monarchie noch lange von Orientierungslosigkeit, Wirtschaftskrise und der Auseinandersetzung zwischen Extremisten auf den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums geprägt waren.

Der Hitler dieser Biographie ist zunächst ein oftmals entscheidungsunwillig scheinender Anführer, der bei verschiedenen Gelegenheiten nahe daran war, seine Führungsrolle zu verlieren. Gerade in solchen Situationen gelang es ihm aber immer, die gläubigsten seiner Parteigenossen enger an sich zu binden; er agierte sehr bewusst mit dem Charisma, das ihm die Deutschen Wähler zugestanden, um sich gegen parteiinterne Widersacher durch zu setzen.

Nach außen hin verfolgte Hitler eine sehr zielgerichtete Politik, mit der er es sehr geschickt verstand, Konkurrenten im Inland und potentiellen Gegnern im Ausland immer genau jene Wahrheit zu liefern, die seinen Zielen zuträglich waren. Schon wenige Monate nach der Machtübernahme testete Hitler mit den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund die Reaktionen des Auslandes und ging damit ein kalkuliertes Risiko ein. Indem die Welt als Reaktion darauf nicht mehr als ein leises politisches Murren zustande brachte, war dieser erste Schritt zugleich auch ein Muster für die noch kommenden Grenzüberschreitungen, Vertragsbrüche und Aggressionen. Erst mit den Angriff auf Polen, am 1. September 1939, machte Hitler den entscheidenden Schritt, der eine weitere Appeasement-Politik nicht mehr erlaubte; ob er damit rechnete oder weiterhin auf die Untätigkeit der anderen vertraute, wird nicht mehr zu klären sein.

1933-1939

Aus der Zeit der Naziherrschaft bis zum Einmarsch in Polen ist vieles weitestgehend bekannt und wissenschaftlich untersucht: Der Antisemitismus, die Olympischen Spiele 1936, die Zerstörung der Tschechoslowakei, der Anschluß Österreichs. In diesem Buch werden die Freiräume gefüllt, womit eine kontinuierliche Betrachtung sowohl der politischen und gesellschaflichen Entwicklung, wie auch der Evolution Hitlers zum unumschränkten Diktator möglich ist.

Hitlers Zielrichtung im Inneren blieb weitest gehend gleich: die Wahnideen von der jüdischen Weltverschwörung und der höherwertigen nordischen Rasse bestimmten das Handeln. Die Zielrichtungen nach Außen wandelten sich jedoch beständig – Hitler passte sein Handeln und seine Aussagen an die jeweilige politische Lage an.

Durchwegs konstant blieb jedoch der Vorrang der Aufrüstung der Armee gegenüber allen anderen Vorhaben. Der 1. September 1939 war der Beginn des Krieges und zugleich Ziel und Ende der mehr als 6-jährigen Vorbereitung darauf.

1939-1945

Noch bis nach der Okkupation Polens hoffte Hitler auf Frieden mit England. Als sich diese Hoffnung zerschlug, was auch direkt mit der Amtsübernahme von Winston Churchill zusammen hing, ließ Hitler jede, außenpolitisch motivierte, Verschleierung seiner Absichten fallen. Trotzdem meinte er weiterhin, dass er die Welt noch von der Richtigkeit seiner Intentionen überzeugen würde, wenn er nur diese ominöse „Jüdische Weltverschwörung“ ausreichend belegen könne. In den Augen der Nazis war der Beweis schon dadurch erbracht, dass die Demokratien des Westens so sehr gegen Nazideutschland Stellung bezogen – weil eben Juden diese Länder unterwandert hätten.

Folgerichtig gab es für die Nazis keine andere Möglickeit zur Verteidigung (eine typische Umkehrung der Fakten, wie sie auch heute von den Rechtsnationalisten betrieben wird), als den Krieg.

Der „Führer“ und sein „Volk“

Hitlers Aussage kurz vor der Niederlage, dass das deutsche Volk den Untergang verdiene, wenn es den Krieg nicht gewinnen könne, ist weitgehend bekannt. Dass Hitler aber von Anfang an an der „Qualität“ der Deutschen zweifelte, ist dann doch noch eine andere und unbekanntere Dimension. In seinem wirren Konstrukt aus Rasse, Blut, Verschmischung und Volksstämmen sah Hitler die US-Amerikaner und Briten lange Zeit als höherwertiges Volk, weil man es verstanden hätte, die Vermischung verschiedener Bevölkerungsgruppen zu verhindern; in Bezug auf die USA sah er die dort praktizierte Form des Rassimus gewissermaßen als Vorbild.

Die Deutschen wären, im Gegensatz dazu, schon durch ihre Lage in der Mitte Europa, dauernder Vermischung ausgesetzt gewesen. Alleine schon dieser Gedankengang samt Wortwahl ist  wahnwitzig genug, um den kranken Geist zu erkennen (ob es den heutigen Neonazi bewusst ist, wie ihr „Führer“ über sie gedacht hätte?).

Das Erbe, das uns bleibt

Dass die jahrelange Dulden von Hitlers Wortbrüchen und Aggressionen diesen immer nur zu weiteren Aktionen ermunterte, ist historische Realität. Es ist eine Lehre, die den Demokratien klar macht, dass man Despoten und Aggressoren nur mit fester Haltung und dem Setzen von unverrückbaren (moralischen, politischen, wirtschaftlichen) Grenzen entgegen treten kann – Appeasement wird immer nur zu weiterem Ausloten der Grenzen führen. Das betrifft einerseits die andauernden verbalen Grenzüberschreitungen der heutigen Rechtsnationalisten, genauso wie die imperialistischen Ambitionen autokratischer Herrscher wie Erdogan oder Putin. Appeasement-Politik im 21. Jahrhundert erweist sich heute als genauso wenig wirksam wie in den 1930er-Jahren. 

Dass man mit übler, verhetzender Propaganda auch im 21. Jahrhundert noch immer ganz einfach Wahlen gewinnen kann, das zeigen die Erfolge von Orban, Trump, Bolsonaro oder Erdogan. Deren Wählern ist es dabei auch völlig egal, ob sie damit die eigene Demokratie aushebeln oder nicht, genauso werden deren Schritte zum Abbau der Demokratie und des Rechtsstaates von den anderen demokratischen Staaten nur halbherzig verurteilt (wie zB. die EVP sich nicht darauf verständigen kann, die schon lange nicht mehr demokratische Partei Fidesz des Viktor Orban auszuschließen). 

Wir blicken – so lässt sich dieses Buch auch zusammen fassen – wenn wir Hitlers Biographie lesen, nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch, in Bezug auf die von den Nazis verwendeten Strategien, zu einem guten Teil in unsere Gegenwart, in der die geistigen Erben Hitlers auferstanden sind.




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