Buchbesprechung/Rezension:

Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Dr. Mühe
Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre

Oliver Hilmes: Das Verschwinden des Dr. Mühe
verfasst am 01.09.2020 | 2 Kommentare

Autorin/Autor: Hilmes, Oliver
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Der praktische Arzt Dr. Erich Mühe betreibt seine Praxis in Berlin-Kreuzberg. Was man von ihm sicher sagen kann ist, dass er viel arbeitet, dass er sich und seiner Frau Charlotte mit dieser Arbeit einen gewissen Wohlstand verschafft hat, dass er sich als einzigen Luxus einen Wagen, Modell Adler, zugelegt hat, den er stolz über die Straßen Berlins bewegt.

Es ist das Jahr 1932, der letzte Sommer, bevor Hitler die Macht in Deutschland übernimmt. Die Macht in einem Land, das schon seit geraumer Zeit zwischen den Interessen unterschiedlichen Gruppierungen aufgerieben wird. Die Nazis und die Kommunisten überziehen die Straßen mit Gewalt, die Monarchisten sind noch zahlreich vertreten und wünschen sich einen Kaiser zurück, die Demokraten sind von allen Seiten unter Druck und unter der neuen Regierung des Kanzlers von Papen scheint die Weimarer Republik ihrem Ende zuzusteuern.

In diesem Umfeld ist, wie zu allen Zeiten, die Arbeit der Kriminalpolizei gefragt, denn auch das „normale“ Verbrechen ruht nicht. Kommissar Ernst Keller und Kriminalassistent Schneider werden auf den Fall des verschwundenen Dr. Mühe angesetzt.

In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 1932 wird Dr. Mühe das letzte Mal gesehen, sein Wagen steht tags darauf verlassen westlich von Berlin, am Sacrower See, und ist einen Tag später plötzlich verschwunden. Naheliegend ist, dass der Arzt ertrunken ist; ob durch ein Verbrechen, durch Selbstmord oder durch einen Unfall. Eine Leiche ist aber, auch Wochen nach dem Verschwinden, noch nicht aufgetaucht.

Ineinander verwoben sind die Fakten dieses realen Kriminalfalles aus dem Jahr 1932, die Beschreibung der Stadt Berlin und die dazu erdachten Gespräche und Abläufe rund um die Ermittlungen. So zueinander passend, dass kaum zu erkennen vermag, was Realität und was Fiktion ist.

Der strukturelle Rahmen des Buches ist die Chronologie, die sich aus Dokumenten und Protokollen der polizeilichen Ermittlung rekonstruieren lässt: die  Vernehmungen von Verwandten und Patienten des Dr. Mühe, Zeugenausssagen und Hinweise, die bei der Polizei einlangen. Die vollständige Original-Akte dazu umfasst rund 100 Seiten und befindet sich im Landesarchiv in Berlin.

Bei den Ermittlungen kommt Kommissar Keller nicht weiter. Obwohl sich gelegentlich neue Erkenntnisse einstellen, gibt es keine Fortschritte bei der Aufklärung, sodass der Fall als ungeklärten den Akten gelegt werden muss.

Im Jahr 1935, Hitler ist seit mehr als zwei Jahren Reichskanzler und die Verhältnisse in Deutschland haben sich völlig geändert, bringt eine neue Nachricht die Ermittlung wieder in Gang. Doch Keller und Schneider können nun nicht mehr so ermitteln, wie es eigentlich erforderlich wäre; unter den Nazis muss der politische Aspekt immer berücksichtigt werden und sobald ein Parteigenosse in den Fokus gerät, besteht immer die Gefahr der Intervention von oben.

„Das Verschwinden des Dr. Mühe“ ist Roman und Reportage zugleich. Eine Kriminalgeschichte, die von Oliver Hilmes spannend erzählt wird, die Wendungen und Überraschungen beinhaltet, wie man sie auch in guten klassischen Krimis finden könnte. Orte und Personen sind real, wobei Oliver Hilmes die Informationen aus der Akte noch mit den umfangreichen Erkenntnissen aus seinem eigenen Recherchen ergänzt hat. Es sind diese Informationen und vor allem die (literarisch bearbeiteten) Protokolle der Vernehmungen, die dafür sorgen, dass man Schritt für Schritt ein immer detaillierteres Bild der Verhältnisse und über die Arbeitsweise der Polizei erkennt.

Über den Ausgang der Ermittlung wird man sich zu Beginn kaum eine Vorstellung machen, die der Wahrheit nahe kommt. Auch in dieser Beziehung ist dieser Fall ein wirklicher Krimi: Hochspannend und hochinteressant!

Weil man dazu noch viel über die Zustände und Lebensumstände der Zeit und über die Entwicklung der Stadt Berlin erfährt, ist dieses Buch insgesamt eine unbedingte Lese-Empfehlung, auch für Nicht-Berliner (die sicher mit den Ortsbeschreibungen noch viel mehr anfangen können als ich, der ich noch nie dort war).

Auch sehr interessant:
Oliver Hilmes berichtet über seine Recherchen zu diesem Buch
Download Werkstattbericht (PDF)
Weitere Informationen
www.doktormuehe.de




2 Kommentare

  • Wolfgang sagt:

    Das Buch ist interessant geschrieben und man wartet ungeduldig auf die Auflösung. Das Ende war dann doch enttäuschend. Es war lange offensichtlich, dass sich Dr. Mühe nach Barcelona abgesetzt hat. Auch der Grund für seinen Reichtum wird recht schnell klar. Es bleiben aber einige Fragen offen. Warum hat sich Dr. Mühe nach Barcelona abgesetzt. WElche Machenschaften betreibt er in Spanien. Was Rolle spielt der Wirt?

  • Sirod sagt:

    Von der ersten bis zur letzten Seite hat mich dieses Buch gefesselt. In einer leicht verständlichen Sprache erzählt der Autor vom Verschwinden des Dr. Mühe sehr spannend.

    Eine mysteriöse Geschichte, die neben den fürchterlichen Tatsachen der politischen Grauslichkeiten im vorigen Jahrhundert, Einblick in das Leben des Dr. Mühe gibt, basierend auf tatsächlichen Begebenheiten und Recherchen des Autors.

    Ich kann der Rezension nur zustimmen und empfehlen, das Buch zu lesen. Ein beinahe unglaubliches Szenario über einen Arzt, einen von vielen verkannten Menschen, dessen Lebensweg auch mit einigen Toten gepflastert war. Dr.Mühe war kein guter Mensch, sein Fetisch waren das Geld und wohl auch die dunklen Seiten des Lebens. Ein Mann, der seiner Frau nicht hilft, als Sie sterbenskrank war.

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