Buchbesprechung/Rezension:

Klaus Brinkbäumer, Stephan Lamby: Im Wahn
Die amerikanische Katastrophe

Klaus Brinkbäumer, Stephan Lamby: Im Wahn
verfasst am 05.10.2020 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Brinkbäumer, Klaus
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Auch wenn der aktuelle Anlass der derzeitige US-Präsident Trump ist: Der Zustand der Demokratie und der Gesellschaft der (ehemals) Vereinigten Staaten ist schon seit längerer Zeit desaströs. Der Anspruch des Landes, die führende Demokratie der Welt zu sein war schon vor Trump falsch und der Slogan vom American Way of Life  bezeichnet nur mehr eine Lebensart, die sich vor allem über Gegensätze definiert.

Die beiden Autoren beschreiben folgerichtig den Weg der USA von einem Land, in dem man miteinander reden konnte und Kompromisse im Sinne der Allgemeinheit schloss, zu einem Land, das ein Spielball von Einzelinteressen wurde und das die Fähigkeit zur charakterlichen, gesellschaftlichen und demokratischen Weiterentwicklung weitgehend verloren hat.

Das Buch erklärt anhand vieler konkreter Beispiele, wie ab der Regierungszeit von Präsident Johnson (1963-1968) und vor allem mit dem Amtsantritt von Nixon die Transformation von Gesellschaft und Politik einsetzten.

Trump, als derzeitiger End- und Tiefpunkt, ist somit nicht der Grund, sondern die Folge des Niederganges. Dass viele Millionen US-Amerikaner einen Mann wählen, der sich aufführt wie ein Mussolini des 21. Jahrhunderts, der die Despoten der Welt von Putin bis Kim Jong-un hofiert, die demokratisch gewählten Staatsleute und jahrzehntelangen Verbündeten der USA aber wüst beschimpft, ist ein bezeichnendes Symptom der Negativ-Entwicklung.

Eine Ursache für die Missstände ist das Wahlsystem, in dem abgegeben Stimme extrem ungleich gewichtet werden. Das Wahlmännersystem hat in den letzten Jahren mehrfach einen Präsidenten hervorgebracht, der weitaus weniger stimmen hatte als sein Konkurrent – Trump hätte bei uns die Wahl haushoch verloren. Vor allem aber sorgt der Senat für das völlige Umkehren von Stimmenverhältnissen, weil jeder Bundesstaat 2 Senatoren entsendet, unabhängig von der Einwohnerzahl. In Kalifornien hat ein Senator mehr als 16 Mio. Wählerinnen hinter sich, in Wyoming weniger als 250.000 – in den Senatsabstimmungen sind beide jedoch gleich viel wert. Für Europa Völlig undenkbare Verhältnisse. Genau das hat aber die Republikaner andauernd gestärkt, die ansonsten nur ganz selten Mehrheiten erhalten hätten.

„Im Wahn“ berichtet über die Repräsentanten der Republikanischen Partei, über den Sender Fox und die Talkshow-Hosts der extremen Rechten, die mit verbaler Gewalt die Stimmung immer wieder anheizen. Die vielen Beispiele dafür, wie skrupellos in den USA dabei vorgegangen wird, lassen die politischen Intrigen bei uns wie Kindergartenspiele aussehen (auch wenn das zu oft einer Demokratie unwürdig ist).

Nixons Machenschaften ist viel Platz gewidmet, dem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, dem Kurzzeit-Medienberater Trumps und mittlerweile Trump-Gegner Anthony Scaramucci, der Russland-Nähe der US-Regierung, der „Twitter-Politik“ Trumps, den rechten Netzwerken in den Sozialen Medien, dem Deckmantel der Redefreiheit, unter dem gelogen und gefälscht wird, den Veranstaltungen Trumps, bei denen er zu Gewalt gegen seine Gegner aufruft, die Corona-Krise, die Macht der Dilettanten im Weißen Haus. Es wird mit jedem Beispiel klarer, wie Trump Politik nur auf der Basis seiner persönlichen Eitelkeiten und Interessen betreibt.

Dazu das Agieren der US-Demokraten, die keine griffige Antwort auf diese Bedrohung finden.

Wie auch bei uns werden die Auseinandersetzungen immer hitziger und wie auch bei uns versucht die eine Seite, auf der Basis von Fakten zu arbeiten (wenn auch nicht immer), während die andere, die Seite der Republikaner und anderer Rechtsextremer, nur persönliche Diffamierungen, Lügen und Angriffe anstatt von (meist eben fehlenden) Argumenten kennt: Trump und Konsorten führen einen beständigen Kampf gegen die Wahrheit, weil sie mit der Wahrheit nicht gewinnen können.

Wenn man das alles so kompakt wie in diesem Buch zusammengefasst liest, ist es einfach nur erschreckend.

Wie man aus den Ausführungen klar sehen kann, ist, wie lange diese Spaltung der Gesellschaft in den USA schon betrieben wird und wie weit die Bevölkerung sich schon hat treiben lassen; dann wird auch klar, dass es bei der kommenden Wahl keinen Gewinner geben kann, der das Land so einfach wieder in ein demokratisches Fahrwasser leiten kann. Es kann höchstens erste Schritte zu einer Genesung geben. Sicher scheint aber, dass im Falle der Wiederwahl Trumps die USA auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat sind.

Was mir dabei besonders bewusst wird, ist der Unterschied zwischen den USA und Europa. Da wie dort wurden Rechtspopulisten nach oben gespült und bestimmten den öffentlichen Diskurs. In den USA sind weite Kreise der Bevölkerung so sehr in ihrem Langerdenken gefangen, dass sie sich selbst durch offensichtliche Lügen und sichtbare Fakten nicht mehr zum selbständigen Denken bzw. zum Umdenken bewegen lassen. In Europa gab es jedoch in den letzten Jahren Gegenbewegungen gegen den Rechtspopulismus und die liberalen Kräfte erstarkten wieder. Am Beispiel Österreich: Strache wurde durch seine bekannt gewordenen Ungeheuerlichkeiten weggespült und die FPÖ verlor massiv an Zustimmung; in den USA kann ein Präsident bekanntermaßen rassistisch sein, frauenfeindlich und korrupt und trotzdem ist seine Chance groß, erneut gewählt zu werden.

Und bei all diesem populistischen Chaos ist da auch noch die zerbröckelnde Infrastruktur, das marode Gesundheitswesen, die grassierende Armut: aus europäischer Sicht sind die USA in weiten Bereichen ein Entwicklungsland (das aber die Probleme ignoriert).

Zusammengefasst:
Ich bin froh, in Europa zu leben (obwohl natürlich auch bei uns die Extremisten andauernd versuchen, die Demokratien zu destabilisieren). Doch der Zustand der USA muss uns alle natürlich beunruhigen.

Wie sehr wir beunruhigt sein müssen, das kann man sehr übersichtlich und sehr nachvollziehbar in „Im Wahn – Die amerikanische Katastrophe“ nachlesen. Brinkbäumer & Lamby erklären, dass es mit einer Wahl eines neuen Präsidenten nichts erreicht ist, dass die USA einen kompletten Neustart benötigen, um mittelfristig als geeinter Staat bestehen zu können. 

PS: wie ein Hohn wirkt nun, dass Trump selbst am Corona-Virus erkrankt ist. Somit an etwas, das er lange Zeit quasi verleugnet hat.

PPS: Einfach alles beschreibende Schlagzeile der Washington Post während der Corona Krise im Mai 2020: „If Trump had been in charge during World War II, this column would be in German“ (Zitat aus S. 317)




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