Buchbesprechung/Rezension:

Volker Kutscher: Olympia
Der achte Rath-Roman

Olympia
verfasst am 20.11.2020 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Kutscher, Volker
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Die Olympischen Spiele 1936 fielen den Nazis wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß. Noch zu Zeiten der Weimarer Republik im Jahr 1931 an Deutschland vergeben, erkannten Hitler und Goebbels darin die Möglichkeit, der Welt das Bild eines ganz normalen Staates vorzugaukeln: ein Nazideutschland, in dem jeder willkommen wäre, in dem und vor dem sich niemand fürchten müsse.

In dieser mit viel Aufwand erzeugten Scheinwelt ist der Tod eines Amerikaners natürlich höchst unwillkommen. Denn der Mann starb nicht, so die offizielle Version, an einem Herzinfarkt im Speisesaal des Olympischen Dorfes, sondern wurde vergiftet. Sehr zu seinem Missvergnügen wird Gereon Rath in das dortige Polizeikommissariat versetzt, um verdeckt zu ermitteln.

Was man erschreckend gut nachvollziehen kann, das ist diese absurde Atmosphäre, die während der Spiele über Berlin, wahrscheinlich über ganz Deutschland lag. Nach drei Jahren Naziherrschaft, hatten diese samt ihren Überwachungsorganisationen alles durchdrungen und die Menschen hatten sich daran gewöhnt, sich nur vorsichtig zu äußern, viel hatten sich die Ideologie zu eigen gemacht. Und andererseits gab es da nun diese angeordnete Freundlichkeit und Weltoffenheit – nur ein schöner Schein, an den man sich nicht gewöhnen konnte. Alle wussten, dass nach dem Erlöschen der olympischen Flamme der totale Überwachungsstaat sofort wieder hervorkommen würde.

Volker Kutscher lässt seine Leserinnen und Leser diese Stimmung zwischen Angst und Ungläubigkeit und Begeisterung wirklich mit erleben. Die ganz in der bombastischen Art der Naziveranstaltungen organisierte Eröffnungsfeier der Spiele liest sich so real, als ob man sich gerade eine der alten Wochenschauen ansehen würde; die Beklemmung, die Gereon und seine Frau Charly während der Veranstaltung erfasst, lässt sich nur allzu gut verstehen.

Der Tod des Amerikaners ist nur der erste Fall, mit dem es Gereon Rath zu tun bekommt. Immer mehr geschieht und es hat den Anschein, als ob alles mit alten, abgeschlossen geglaubten Ermittlungen zu tun hat. Dabei erscheinen weitere Todesfälle nächst Unfälle zu sein, nach und nach erkennt Rath, wer die Opfer sind: Sie alle haben eine Gemeinsamkeit und diese Gemeinsamkeit weist direkt hinein in die oberste Führungsspitze des Nazi-Regimes.

Es ist dies der achte Roman der Gereon Rath-Reihe und wer die ersten sieben gelesen hat, ist über weite Strecken dieses Buches im Vorteil. Obwohl das auch nur teilweise hilft, denn an einiges von dem, was sich auf zurückliegende Ereignisse bezieht, konnte ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern, bei den meisten dieser Vorgänge ist meine Erinnerung nur sehr dürftig. Das stört zwar nicht beim Lesen dieses Romanes, ist aber insofern wenig zufriedenstellen, als man mit einem Teil der Hinweise wenig bis gar nichts anfangen kann. „Olympia“ ist gewissermaßen eine direkte Fortsetzung von „Marlow“ und das sollte man vor dem Lesen wissen.

Es gibt viele Schauplätze und viele Momente, an denen sich das Schicksal Raths, Charlys und Fritze entscheiden kann – „Olympia“ hetzt gewissermaßen von einer Gefahr zur nächsten, wenn es gilt, nicht in einem Verhörraum von SS, SD oder Gestapo zu landen. Drei Jahre nach der Machtergreifung haben die Nazis den Höhepunkt ihrer Macht erreicht und haben das Land und die Menschen fest im Griff. Ganz nach Belieben wird alles den Zielen der Machthaber untergeordnet und die Propaganda überdeckt alles mit der von Goebbels diktierten Wahrheit.

In dieser Beziehung zeigt dieser Roman wieder ein bedrückendes Bild eines Landes, dessen Charakter und Kultur gänzlich durch die Nazi-Ideologie ersetzt wurde und dessen Bewohner in der überwiegenden Mehrzahl wie die Lemminge allem folgen, was Hitler & Co vorgeben.

In einer für Andersdenkende immer enger werdenden Welt müssen auch Gereon und Charly Entscheidungen treffen, wie sie ihr Leben weiterführen möchten. Sie sind dabei immer in Gefahr, sich falschen Freunden anzuvertrauen.

Wie fremdartig und für uns heute völlig unverständlich diese Welt war, das erlebt man auch in Band 8 der Reihe hautnah mit; und trotzdem ist für meinen Geschmack zu viel in diesen einen Roman hinein gepackt, in den sich auch einige für mein Gefühl allzu konstruierte Wendungen und Zufälle einschleichen.

Nicht der beste Roman von Volker Kutscher, aber ein sehr guter, sehr packender Roman, erneut mit einer ungemein realistischen Beschreibung der erschreckenden Zustände in Deutschland während der Nazi-Herrschaft.

Ein kleiner historischer Einschub:
Schützenhilfe bei der Umsetzung seiner Propaganda erhielt Hitler damals von Avery Brundage, der als US-Sportfunktionär durchsetzte, dass die US-Amerikaner an den Spielen teilnahmen, trotz aller Bedenken bzgl. Rassismus, Judenverfolgung und staatlicher Gewalt in Deutschland. Jener Avery Brundage, der dann bis in die 1970er-Jahre als IOC-Präsident die Ausrichtung der Olympischen Spiele dominierte. Zeitlebens wurden gegen Brundage Stimmen laut, die ihm Rassismus und Antisemitismus vorwarfen. Und ja, nicht zu vergessen: im Jahr 1972 schloss er Karl Schranz wegen dessen angeblicher Verletzung des Amateurstatus von den Spielen in Sapporo aus. Nach dem Terroranschlag während der Spiele 1972 in München verkündete er die Fortsetzung der Spiele mit den Worten: „The Games must go on!“.




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