Buchbesprechung/Rezension:

Timothy Snyder: Die amerikanische Krankheit
Vier Lektionen der Freiheit aus einem US-Hospital

Timothy Snyder: Die amerikanische Krankheit
verfasst am 15.01.2021 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Snyder, Timothy
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Gewissermaßen das Buch zu einem der größten Schandflecken der USA: über den Zustand des Gesundheitswesens in einem Land, das sich es sich im 21. Jahrhundert leistet, Medizin und Gesundheit als Privileg derer zu sehen, die es sich leisten können.

Die anderen haben Pech gehabt. Doch leisten können es sich immer weniger US-Amerikaner.

Wenn wir oft von Obamacare (Korrekte Bezeichnung: Patient Portection and Affordable Care Act) und ähnlichem hören, davon, wie die Repräsentanten der Republikanischen Partei ein allgemeines Gesundheitssystem erfolgreich (im Sinne ihrer Sensoren) als kommunistisch verteufeln, dann ist das eine für uns zunächst inhaltsleere Information. Es bedarf dann eines Erfahrungsberichtes aus dem Inneren, um den ganzen Umfang eines durch den Einfluss ideologisches Wirrköpfe und auf Gewinnmaximierung orientierter Gesundheitskonzerne entstandenen Systems zu begreifen.

Timothy Snyder war selbst Ende des Jahres 2019 auf das US-Gesundheitssystem angewiesen. Die Umstände seiner Erkrankung sind in diesem Zusammenhang (zwar für ihn persönlich, aber nicht für den Inhalt des Buches) weniger von Belang, aber es brachte ihn in eine Situation, aus der er einen direkten Einblick gewinnen konnte; bzw. in eine Lage, die ihn für die Schwächen, Fehler und Ungerechtigkeiten des Systems sensibilisierte.

Anhand einiger Daten lässt sich festmachen, wie gefährlich es sein kann, in den USA auf das Gesundheitssystem angewiesen zu sein (außer man ist wirklich reich), darunter: Die Säuglingssterblichkeit bei Kindern afroamerikanischer Frauen ist höher als in mehr als 70 anderen Staaten (höher als zB. in Weißrussland, Kasachstan, Albanien). Die Lebenserwartung in den USA bleibt immer weiter hinter anderen Staaten mit ähnlichem Wohlstand zurück.

Einen ganz wesentlichen Teil der Vergleiche zwischen Europa und den USA kann Snyder übrigens aus längeren Aufenthalten und medizinischer Betreuung in Wien ziehen. Ganz klar ist sein Urteil, dass man besser in Österreich und nicht in den USA sein sollte, wenn man einen Arzt oder ein Krankenhaus benötigt; oder ein Kind bekommt. Während bei uns in ganz Europa die Gesundheitspolitik über alle Parteigrenzen hinweg betrieben wird, ist sie in den USA Spielball von Lobbyisten und Einzelinteressen.

Neben Obamacare erfahren wir hierzulande über das amerikanische Gesundheitssystem auch über Fernsehserien: Emergency Room, Greys Anatomy – jeden Tag läuft auf irgendeinem Sender eine Folge irgendeiner US-Krankenhausserie. Was Snyder aber selbst erlebte, das wäre wohl kaum geeignet, im Drehbuch zu einer Folge zu landen.

Ein paar der Fakten, die ihm im Zuge seiner eigenen Erkrankung bewusst wurden und über die er in diesem Buch schreibt:

  • Die USA haben nach dem 2. Weltkrieg mitgeholfen, die Gesundheitsversorgung als Recht der Menschen in vielen Staaten zu verankern. Im eigenen Land gibt es dieses Recht bis heute nicht.
  • Europäische und amerikanische Ärzte unterscheiden sind sehr wesentlich in einem Punkt: In Europa will man Ursachen ermitteln, in den USA will man schnell ein Pulver verschreiben um gleich den nächsten Patienten abfertigen zu können (weshalb es u.a. auch in den USA eine Opioid-Krise gibt, weil dort Schmerzmittel ohne Hemmung verordnet werden).
  • Vom ersten Tag des Lebens eines Kindes der USA hängt dessen Leben, Wohlbefinden und Gedeihen vor allem vom Geld ab. Chancengleichheit wird somit gleich und direkt bei der Geburt als ein Märchen entlarvt.

Synder beschreibt ein System für jene errichtet ist, die genügend Geld haben. Wer das nicht hat, kann sich entweder hoch verschulden oder muss auf Gesundheit und Hilfe verzichten – hat also einfach Pech gehabt. Dazu kommt, dass das Gesundheitssystem in den USA immens teurer ist, als in den Ländern Europas – bei schlechterer Leistung.

Mag unser Gesundheitssystem in Österreich auch Schwächen haben: Ich bin sehr froh, im Fall des Falles darin aufgefangen zu werden. Nachdem ich dieses Buch gelesen habe, noch weitaus mehr …




Ein Kommentar

  • Robert sagt:

    Hi Andreas,
    ich habe die „Die amerikanische Krankheit“ auch vor Kurzem rezensiert und stimme dir zwar weitgehend zu, muss aber in zwei Punkten widersprechen – wenn es um Gesundheitsversorgung als Menschenrecht und die Behandlungspraxis geht. Ich kenne mich mit den Details in Österreich nicht aus, aber zumindest auf Deutschland trifft das so nicht zu (was auch relativ leicht zu überprüfen ist).

    Snyder neigt gelegentlich zu einer… nu ja, etwas unscharfen Argumentation, was den positiven Gesamteindruck für mich dann doch etwas schmälert. Trotzdem ein empfehlenswertes Buch.

    Grüße
    Robert

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