Buchbesprechung/Rezension:

Hauke Friederichs: Das Wunder von Dünkirchen
Wie sich im Sommer 1940 das Schicksal der Welt entschied

Das Wunder von Dünkirchen
verfasst am 15.03.2021 | 1 Kommentar

Autorin/Autor: Friederichs. Hauke
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Während des 2. Weltkrieges trieben die Ereignisse immer wieder auf entscheidende Momente zu; jeder für sich barg die Option, dass sich das Nachfolgende in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln konnte. Dünkirchen, El Alamein, Stalingrad, die Normandie, Kursk, Moskau … Nur einige wenige dieser schicksalhaften Orte und Konfrontationen.

Dünkirchen war Schauplatz eines sehr entscheidenden Momentes im Verlauf des Krieges, wenigen Wochen nach dem Beginn des Überfalls Hitlerdeutschlands auf Frankreich und die Benelux-Staaten.

Neben den bekannten Akteuren aus Politik und Militär folgt das Buch auch noch vielen anderen, die Opfer oder Beobachter des Krieges von Mai bis Juni 1940 waren. Reporter, Schriftsteller, Soldaten, aus Deutschland geflüchtete, die nun in den Niederlanden festsaßen. Von Anne Frank ist zu lesen, von Joseph Kennedy, dem US-Botschafter in London, von Astrid Lindgren, die in Schweden für den Nachrichtendienst arbeitet, von der Sekretärin im Hauptquartier Hitlers, von Stefan Zweig in seinem Londoner Exil, vom US-Botschafter in London; Churchill wird Premierminister, De Gaulle ist einer der wenigen, die in Frankreich auf die mechanisierte Kriegsführung setzen, Goebbels wirft die Propaganda-Maschine an, Präsident Roosevelt stellt die USA auf die Seite der Gegner Deutschlands  (nur ein paar wenige der Menschen, deren Leben in diesem Buch beobachtet wird). Die Schweiz macht mobil, überall sind hunderttausende auf der Flucht, dort wo die Walze der deutschen Wehrmacht näher kommt.

In kurzen Sequenzen sind die Berichte aller dieser Menschen nebeneinander gestellt. Wie in einer Konferenzschaltung ist über die Lage in den Ländern und Städten zu beiden Seiten des Frontverlaufes, über die Euphorie auf der einen und die Verzweiflung auf der anderen Seite quasi zeitgleich zu lesen. Das schafft für uns, die wir Krieg nur aus Berichten, aber nicht aus eigener Erfahrung kennen, zumindest zu einem gewissen Teil, den Einblick in die Dramatik der Ereignisse, in die Ängste der Menschen, in die Brutalität der Zeit.

Der Krieg überzieht die Niederlande, Rotterdam wird von den Bomber der deutschen Luftwaffe zerstört. Luxemburg wird überrannt und auch Belgien unterliegt nach kurzem Widerstand dem Ansturm. Währenddessen rasen die deutschen Panzer unter der Führung von General Guderian durch die Ardennen, überqueren die Maas und steuern auf die Kanalküste zu. Die französischen Truppen leisten nur punktuell Widerstand, denn man hat aus dem „Blitzkrieg“ in Polen, aus der von den Deutschen dort angewandten Taktik, nichts gelernt, sondern verharrt noch in der Gedankenwelt des 1. Weltkrieges.

Entscheidend war Dünkirchen deshalb, weil Hitler und einige der deutschen Generäle die schnell vorstoßenden Panzertruppen zurückhielten. Ohne die Haltebefehle wären die Deutschen einige Tage früher an der Kanalküste angelangt und hätten den Rückzug der englischen Truppen wahrscheinlich vollständig verhindert. Jener Truppen, die im Rahmen der Aktion „Dynamo“ evakuiert werden konnten und einige Jahre später am D-Day wieder kontinentalen Boden betraten. Gründe für die Haltebefehle gab es einige: Furcht vor Gegenangriffen, lange Versorgungswege und vielleicht auch Hitlers Irrglaube, mit England einen Frieden schließen zu können; eine definitive Beurteilung dazu ist aber nach wie vor nicht möglich. Faktum ist: Beinahe 340.000 gerettete Soldaten bildeten den Kern jener Armeen, die am Ende das Naziregime endlich besiegen konnten.

Unglaubliche, in unserer Zeit undenkbare Zahlen: der Frankreichfeldzug dauert insgesamt rund 6 Wochen. In dieser Zeit wurden mehr als 200.000 (!) Soldaten getötet, unzählige Zivilisten starben.

Das Buch ist mit diesen vielen persönlichen, berührenden und bedrückenden Details dann auch weit mehr als eine (militär-)historische Analyse, mehr als ein Geschichtsbuch im herkömmlichen Sinn. Denn es zeigt, welche Folgen für jeden einzelnen der Krieg hat (und dabei ist es egal, über welchen Krieg wir reden).

PS: Ein grober historischer Fehler findet sich allerdings auch im Buch: Es wird – bezogen auf das Jahr 1940 und die US-amerikanische Öffentlichkeit dieses Jahres – auf Churchills Renommee als Literaturnobelpreisträger verwiesen. Diesen Preis erhielt Churchill jedoch erst im Jahr 1953, somit 13 Jahre NACH den Ereignissen rund um Dünkirchen.




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