Buchbesprechung/Rezension:

Stephan R. Meier: 44 Tage
- Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war

Stephan R. Meier: 44 Tage
verfasst am 20.03.2021 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Meier, Stephan R.
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Online bestellen:   zum Thalia online-Shop
Schon selbst gelesen? Gib hier Deine Bewertung zum Buch ab!
[Gesamt: 0 Durchschnitt: 0]

Im Jahr 1977 war die Terrororganisation RAF (Rote Armee Fraktion) für die Bundesrepublik Deutschland zu einer permanenten Bedrohung der Sicherheit und der Stabilität geworden war. Die noch lebenden prominentesten Vertreter der ersten Generation der RAF (Baader, Ensslin, Raspe) standen in Stammheim vor Gericht, während die in Freiheit verbliebenen Mitglieder mehrere Versuche zu deren Freipressung unternahmen.

Nach einer Reihe von Morden und Anschlägen in den Monaten zuvor eskalierte im September und Oktober 1977 die Lage. Zuerst die Entführung Hanns Martin Schleyers, wobei die RAF seine vier Begleiter ermordete; dann die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“, die durch den Einsatz der GSG-9 in Mogadischu beendet wurde und am Ende der Selbstmord der drei RAF-Häftlinge, der bis heute zu Spekulationen Anlass gibt.

Die „44 Tage“ umfassen genau diese Zeitspanne, die für Deutschland und diejenigen, die es miterlebt haben, wohl eine ähnliche Bedeutung und Nachwirkung hat, wie 9/11 für die US-Amerikaner. Es begann am 5. September 1977 …

Stephan R. Meier, der Autor des Buches, ist der Sohn des damaligen Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutzes, Richard Meier. Er befand sich also damals wahrscheinlich sehr dicht am Geschehen und wird wohl auch mehr über die geheim gehaltenen Vorgänge erfahren haben, als die Öffentlichkeit. Beste Voraussetzungen, einen Thriller zu schreiben, der nicht nur die ganze Dramatik der Zeit wiedergibt, sondern – hoffentlich – Details enthüllt (oder wenigstens andeutet), die bislang unbekannt waren.

Ein zentrales Thema bei den Entscheidungsträgern damals und im Roman ist, wie weit die Demokratie gehen darf, um sich gegen ihre Feinde zu wehren. Wir kennen es ja bis in unsere Gegenwart, dass die Gegner der Demokratie sich hinter den Freiheiten der Demokratie feige verstecken, um zu versuchen, sie zu zerstören. Nichts anderes hatten die RAF-Terroristen damals im Sinn.

Recht gut ist es gelungen, diese ständige Gratwanderung zu beschreiben, auf der sich die Regierung und die Behörden befanden. Wie weit konnte, sollte, durfte man bei den Maßnahmen gehen, ohne der Demokratie nachhaltigen Schaden zuzufügen. Keine leichten Entscheidungen in einem Land, das nach wie vor misstrauisch vom Ausland beäugt wurde, immer achtsam, ob die Entwicklung in der Bundesrepublik vielleicht zurück in Richtung autoritärem Regime ginge. Die Diskussionen – man könnte es besser wahrscheinlich als „Richtungsstreitigkeiten“ bezeichnen – in den Stäben, die die Einsätze koordinierten und die Maßnahmen beschlossen, geben Einblick in genau diese Auseinandersetzungen. Ständig standen alle unter dem Druck der Stimmung in der Bevölkerung, als immer lauter nach Todesstrafe und massivem Vorgehen gerufen wurde.

Dazu kamen, auch nach Jahren der Auseinandersetzung mit der RAF und fünf Jahre nach dem Massaker bei Olympia 1972 in München, noch immer schwerwiegende Fehler und Nachlässigkeiten bei den Ermittlungen, bei denen zwar schon auf die Hilfe von Computern zurückgegriffen werden konnte, die Schwachstelle jedoch der menschliche Faktor war, die einfach noch nicht vorhandene Erfahrung der Behörden, die Datenverarbeitung wirklich optimal zu nutzen.

Diese Einblicke in das, was damals geschah, sollen real wirken – doch beim „sollen“ bleibt es meistens: wie angefangen von Bundeskanzler Helmut Schmidt, über die Minister und die Chefs der Ermittlungsbehörden bis zu den (fiktiven) Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Polizei und Nachrichtendiensten die Anspannung mit jedem Tag größer wurde, wie es an den Nerven aller zerrte, dass es wochenlang keine positiven Ergebnisse gab: es steht da, aber es reisst mich nicht mit.

Spannung kommt nicht auf. Das liegt zum einen daran, dass man natürlich den Ausgang kennt, zum anderen daran, dass der Roman im hölzernen Stil einer Reportage und nicht im Stil eines emotionsgeladenen Thrillers geschrieben ist – wenn es auch immer wieder durchaus spannende Kapitel gibt.

Deshalb lese ich das Buch eben wie eine Reportage, die um fiktionale Charaktere ergänzt wurde. Es ist eine Zusammenfassung dessen, was man damals wusste, was in den Jahren seither bekannt wurde und einigen Details, die ich bislang noch nicht bzw. nicht im ganzen Umfang kannte: beispielsweise die Art, wie die RAF nach außen kommunizierte, die internationalen Verbindungen der Terrororganisationen und wie diese von der DDR unterstützt wurden; wie die RAF inmitten eines dicht bevölkerten Landes im Untergrund agieren konnte.

Wenn der Roman auch sprachlich durchwegs zu simpel und sehr schablonenhaft (nur ein Beispiel. S. 360: „Der Pilot, ein tollkühner Kapitän, steuerte die Maschine in seiner typisch lässigen Haltung„.) geraten ist und in Bezug auf die im Klappentext angekündigt „Hochspannung“ meine Erwartungen nicht erfüllen kann, so gelingt ihm das dann doch abschnittsweise in Bezug auf die Beschreibung der dramatischen Ereignisse; und es wird damit in Erinnerung gerufen (bzw. für jene, die die Vorgänge nicht kannten, aufgezeigt), wie einfach es für eine kleine Gruppe von Extremisten sein kann, unsere Demokratie ins Wanken zu bringen.

PS: Es ist verständlich, dass Stephan R. Meier sich bemüht, seinen Vater in einem guten Licht darzustellen. Das gleitet jedoch oft in eine allzu plumpe, schon peinliche Glorifizierung des im Roman „Roland Manthey“ (=Richard Meier) genannten Präsidenten des Amtes für Verfassungsschutz – und auch einiger anderer Protagonisten – ab.




Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Top